Wieder Kanzlerrochade in Österreich – Innenminister Nehammer übernimmt

– von Alexandra Schwarz-Goerlich

Wien (Reuters) – Der bisherige Innenminister Karl Nehammer wird neuer Bundeskanzler in Österreich und Chef der konservativen Volkspartei (ÖVP).

Das beschlossen die Parteigremien einstimmig am Freitag bei einer Sitzung in Wien. Der 49-Jährige, der formal noch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen vereidigt werden muss, folgt auf den Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg, der nach dem Rückzug seines Vorgängers Sebastian Kurz ebenfalls abtritt.

Der überraschende völlige Rückzug von Kurz aus allen politischen Funktionen hatte am Donnerstag ein Beben in der ÖVP ausgelöst. Nur wenige Stunden nach Kurz verkündete dessen Nachfolger Schallenberg seinen Rücktritt. Er hatte den Posten erst im Oktober von Kurz übernommen, nachdem dieser wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten war. Am Abend folgte dann Finanzminister Gernot Blümel, der ebenfalls den Hut nimmt. Schallenberg und Blümel galten beide als enge Kurz-Vertraute.

Neuer Finanzminister wird der Vorarlberger Magnus Brunner, der zuletzt Staatssekretär im Klimaschutzministerium war. Den Posten des Innenministers übernimmt Gerhard Karner. Der 54-Jährige war einst Pressesprecher des früheren Innenministers Ernst Strasser. Später wurde er ÖVP-Landesgeschäftsführer in Niederösterreich. Seit 2015 ist er zweiter Landtagspräsident und Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Texingtal.

EX-SOLDAT UND MIGRATIONS-HARDLINER ZIEHT INS KANZLERAMT EIN

Nehammer betonte, es sei ihm eine große Ehre und ein Privileg, dass er die ÖVP anführen dürfe. Die Volkspartei als Bewegung habe ihn schon sehr lange fasziniert, sagte er. Der gebürtige Wiener war schon in jungen Jahren für die Partei tätig. So verteilte er als 14-Jähriger im Wahlkampf ÖVP-Folder. Seine professionelle Laufbahn begann Nehammer nach dem Abitur als Berufssoldat. Nach seiner Zeit beim Bundesheer arbeitete er als Trainer für strategische Kommunikation. Er wechselte schließlich zur wichtigen ÖVP-Landesgruppe nach Niederösterreich, wo er unter anderem Gemeinden und Bürgermeister beriet. Er absolvierte den Universitätslehrgang Politische Kommunikation und wurde schließlich Generalsekretär-Stellvertreter des Österreichischen Arbeitnehmerbundes (ÖAAB). 2017 wurde er Abgeordneter zum Nationalrat und ein Jahr später Generalsekretär der Volkspartei.

Nach den Neuwahlen 2019 trat er in einer Regierungskoalition mit den Grünen den Posten des Innenministers an. Als solcher wurde Nehammer vor allem für einen scharfen Kurs in der Migrationspolitik bekannt. Er sorgte unter anderem mit der harten Abschiebung von einem Schulmädchen aus Österreich für Aufsehen. Zudem war er dagegen, Kinder aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria nach Österreich zu holen. Nach dem Terroranschlag in Wien im November des Vorjahres geriet Nehammer wegen eines möglichen Behördenversagens in die Kritik. Bei dem Attentat eines Sympathisanten der Extremistenorganisation Islamischer Staat (IS) wurden vier Menschen getötet und mehr als 20 verletzt. Einer der Vorwürfe lautete, dass der Anschlag möglicherweise hätte verhindert werden können. Aufgefallen war Nehammer auch durch scharfe Polizei-Einsätze im Zusammenhang mit den wegen der Corona-Pandemie verhängten Ausgangsbeschränkungen.

Nehammer ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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