Berichte über neue Kämpfe in Ost-Ukraine – Rebellen kündigen Evakuierungen an

– von Dmitry Antonov und Pavel Polityuk

Moskau/Kiew (Reuters) – Berichte über zunehmende Kämpfe in der Ost-Ukraine schüren Befürchtungen vor einer militärischen Eskalation des Konflikts und einem Eingreifen Russlands.

Regierungstruppen und prorussische Rebellen warfen sich gegenseitig Verstöße gegen die geltende Waffenruhe vor. Während russische Medien am Freitag einen Teilabzug einiger Soldaten und Panzer vermeldeten, wies die US-Regierung solche Darstellungen als nicht belegt zurück. Vielmehr sei davon auszugehen, dass immer mehr Soldaten an den Grenzen zur Ukraine zusammengezogen würden. Zudem bekräftigte Außenminister Antony Blinken, dass Russland nach amerikanischen Erkenntnissen an einem Vorwand für eine Invasion arbeite. Die Rebellen kündigten derweil überraschend an, Bewohner aus den abtrünnigen Gebieten nach Russland zu evakuieren. Für zusätzliche Unruhe sorgte Russlands kurzfristige Ankündigung einer Übung seiner strategischen Atomstreitkräfte unter Beisein von Präsident Wladimir Putin.

Einen Vorwand für eine Invasion könnten nach Einschätzung der USA die Kämpfe in der Ost-Ukraine liefern. Sowohl die ukrainischen Regierungstruppen als auch die prorussischen Rebellen meldeten den zweiten Tag in Folge einen zunehmenden Beschuss. Berichte über Tote lagen nicht vor.

Der Kreml bezeichnete die Lage in der Ost-Ukraine als potenziell sehr gefährlich. Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich alarmiert. Es kämen Waffen zum Einsatz, die gemäß des Minsker Friedensprozesses verboten seien, zitierte die Nachrichtenagentur Tass den russischen Chefdiplomaten. Der Sonderbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) warf er laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax vor, sie versuche, Verstöße gegen die Waffenruhe durch ukrainische Regierungstruppen zu beschönigen.

Russland hat Vorwürfe, es plane eine Invasion der Ukraine, als westliche Hysterie zurückgewiesen. Den Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze begründet es letztlich mit der Forderung nach Sicherheitsgarantien. Moskau will unter anderem eine Zusage, dass sich die Nato nicht weiter nach Osten ausdehnt und die Ukraine nicht in das Bündnis aufgenommen wird. Die Nato lehnt solche Zugeständnisse ab. Der Konflikt wird von Beobachtern inzwischen als die größte Sicherheitskrise Europas seit dem Ende des Kalten Kriegs eingestuft.

Gleichwohl erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Resnikow, die Wahrscheinlichkeit einer “großangelegten Eskalation” schätze er als niedrig ein. Die ukrainischen Geheimdienste sähen “jede Bewegung, die eine potenzielle Bedrohung für die Ukraine darstellten könnte”. Er fügte aber auch hinzu, Russland habe inzwischen etwa 149.000 Soldaten rund um die Ukraine zusammengezogen und Tausende weitere würden in Kürze erwartet. Der amerikanische OSZE-Botschafter Michael Carpenter sagte gar, die USA schätzten, Russland habe in und nahe der Ukraine wahrscheinlich bereits zwischen 169.000 und 190.000 Militärangehörige im Einsatz. Ende Januar seien es noch 100.000 gewesen. “Das ist die bedeutendste Militärmobilisierung in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs.”

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin wies bei einem Besuch in Polen erneut russische Darstellungen zurück, wonach die Regierung in Moskau ihre Truppen aus den Gebieten rund um die Ukraine abrücken lässt. Dafür gebe es keine Belege. Das sagte auch der lettische Außenminister Edgars Rinkevics der Nachrichtenagentur Reuters am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Verhandlungen mit der Regierung in Moskau müssten aber unbedingt fortgesetzt werden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock appellierte an Moskau, Zeichen des Truppenrückzugs zu senden.

US-Präsident Joe Biden lud angesichts der Entwicklung nach kanadischen Angaben die Spitzen der Nato, der EU sowie die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Italien, Polen, Rumänien, Großbritannien, Frankreich und Kanada zu einer Schalte im Laufe des Freitags ein. Parallel wurden die seit Wochen auf Hochtouren laufenden diplomatischen Bemühungen um eine Entspannung vorangetrieben. Noch im Laufe des Tages sollte Austin mit seinem russischen Kollegen, Verteidigungsminister Sergej Schoigu, telefonieren, wie die Agentur Interfax meldete. Für Ende kommender Woche wurde zudem nach US-Angaben ein Treffen von Blinken und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow geplant.

Inmitten der angespannten Lage teilte das russische Verteidigungsministerium mit, Putin werde am Samstag Übungen der Atomstreitkräfte beaufsichtigen. Dabei würden auch Marschflugkörper und ballistische Raketen eingesetzt. Nach Angaben des russischen Präsidialamts stehen die Übungen nicht in Zusammenhang mit der Ukraine-Krise, sondern gehören zum regulären Programm des Militärs. Russland hat in den vergangenen vier Monaten zahlreiche Militärmanöver abgehalten.

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