– von Reinhard Becker und Rene Wagner und Klaus Lauer
Berlin (Reuters) – Trotz Frühlingsgefühlen der deutschen Wirtschaft lastet der Ukraine-Konflikt wie ein Mühlstein auf den Konjunkturaussichten.
Das Barometer für das deutsche Geschäftsklima stieg im Februar zwar um 2,9 auf 98,9 Punkte und damit den zweiten Monat in Folge, wie das Münchner Ifo-Institut zu seiner monatlichen Manager-Umfrage mitteilte. Ifo-Experte Klaus Wohlrabe räumte am Dienstag im Reuters-Interview jedoch ein, dass die Daten noch “völlig unbeeinflusst” von den jüngsten Vorgängen in der Ukraine waren. Die Folgen des russischen Vorgehens drohten den erhofften Frühjahrsaufschwung zu ersticken. Die Unsicherheit werde massiv zunehmen: “Das wäre Gift für den Aufschwung”, betonte Wohlrabe. Besonders steigende Energiepreise könnten die Firmen weiter belasten.
Der Rohstoffgigant Russland hat dabei mit seinen Gas- und Öllieferungen an den Westen einen wichtigen Hebel in der Hand. Bundeskanzler Olaf Scholz hat nun entschieden, die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf Eis zu legen, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin die ost-ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk am Montagabend als unabhängig anerkannt und die Entsendung von “Friedenstruppen” angekündigt hatte. Die Verschärfung des Ukraine-Konflikts dämpfe die bereits heruntergeschraubten Wachstumserwartungen für die Konjunktur der Euro-Zone, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.
Im Februar hatte die Europäische Kommission ihre Wachstumsprognose für die 19 Euro-Staaten 2022 von 4,3 Prozent auf 4,0 Prozent gesenkt und dies mit einer neuen Welle von Corona-Infektionen, hohen Energiepreisen und anhaltenden Störungen auf der Angebotsseite begründet.
“WIE EIN DAMOKLESSCHWERT”
Die Eskalation kommt just zu einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft laut Ifo-Chef Clemens Fuest auf ein Ende der Coronakrise setzt. “Die Zuspitzung der Krise um die Ukraine bleibt aber ein Risikofaktor”, warnte der Top-Ökonom.
Die rund 9000 befragten Führungskräfte beurteilten ihre Geschäftslage besser. Und die Aussichten für die kommenden sechs Monate wurden sogar deutlicher rosiger gesehen als zuletzt. Dazu passt die jüngste Umfrage des Instituts IHS Markit unter Einkaufsmanagern: Demnach ist die Wirtschaft im Februar trotz der Omikron-Welle so stark gewachsen wie seit einem halben Jahr nicht mehr. Die Bundesbank geht allerdings davon aus, dass sich die im Herbst 2021 begonnene konjunkturelle Talfahrt im Winterquartal noch fortsetzen wird. Im Frühjahr soll es aber zu einer kräftigen Erholung kommen.
“Allerdings hängt die Eskalation der Ukraine-Krise wie ein Damoklesschwert über den Konjunkturaussichten”, sagte Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Würde Russland den Gashahn zudrehen, könnte dies seiner Ansicht nach den wirtschaftlichen Aufschwung zumindest zeitweise unterbrechen.
Deutschland hat seinerseits nun mit Nord Stream 2 ein umstrittenes Projekt zur Versorgung mit russischem Gas auf Eis gelegt. Kanzler Scholz wies das Bundeswirtschaftsministerium an, eine Neubewertung der Pipeline vorzunehmen, durch die russisches Gas direkt nach Deutschland geleitet werden soll. Derzeit werde es keine Zertifizierung für den Betrieb der Pipeline geben.
NordLB-Chefvolkswirt Christian Lips gibt zu bedenken, dass der in fast allen Sektoren spürbar zunehmende Optimismus der deutschen Wirtschaft “nur eine Momentaufnahme” der Stimmungslage vor der jüngsten Eskalation im Ukraine-Konflikt sei. Maßgeblich seien die weitere Entwicklung und konkreten Sanktionen des Westens: “Zumindest auf eine länger angespannte Situation bei den Energiepreisen muss man sich nun einstellen.”
Die Furcht vor Engpässen am Rohölmarkt trieb den Ölpreis bereits bis dicht unter die Marke von 100 Dollar pro Barrel. Auch Erdgas in Europa verteuerte sich. Der richtungweisende Terminkontrakt stieg um rund zwölf Prozent auf 80,65 Euro je Megawattstunde. Commerzbank-Analysten zufolge sollten die europäischen Gasvorräte zwar bis zum Ende des Winters reichen. Ohne ausreichende russische Gaslieferungen dürfte sich aber der Lageraufbau für den nächsten Winter als schwierig erweisen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rechnet durch den Ukraine-Konflikt mit einem weiteren Anstieg der Gaspreise. Dies sei zumindest kurzfristig zu erwarten: “Wir werden diesen Winter nicht so schnell vergessen.”