Berlin/Frankfurt (Reuters) – Einen Tag vor der von der Ampel-Koalition geplanten Lockerung des Infektionsschutzgesetzes haben die Bundesländer massive Kritik an der Corona-Politik des Bundes geübt.
In einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz wurde parteiübergreifend kritisiert, dass SPD, Grüne und FDP die Länderwünsche nicht beachteten, die aber die Regeln für die Pandemiebekämpfung umsetzen müssten. “Der Bund trägt die Verantwortung dafür, dass Ländern die Mittel für einen effektiven Basisschutz genommen werden”, sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nach den Bund-Länder-Beratungen am Donnerstag. Kanzler Olaf Scholz (SPD) wies dies zurück und betonte, man habe die Hoffnung, dass die Regeln des Infektionsschutzgesetzes in der Praxis gut funktionierten.
Am Freitag wollen die Ampel-Parteien ein abgespecktes Infektionsschutzgesetz beschließen, das die rechtlich möglichen Corona-Maßnahmen der Bundesländer deutlich reduziert. Die FDP hatte gegen SPD und Grüne durchgesetzt, dass eine Maskenpflicht im Handel fallen soll. In der Sitzung mit der Bundesregierung kritisierten Ministerpräsidenten parteiübergreifend das Vorgehen des Bundes. Wüst kritisierte, dass das neue Infektionsschutzgesetz das Gegenteil von dem bewirke, was der eigene Expertenrat der Bundesregierung gerade geraten habe: Statt schnell auf einen neuen Pandemie-Ausbruch reagieren zu können, sei die nun vorgesehene Hotspot-Regelung langsam und bürokratisch.
Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte, dass rechtlich schwammig sei, ab wann ein Hotspot bestehe, in dem dann weitergehende Maßnahmen verhängt werden dürften. Das ist vor allem für Flächenländer ein Problem, weil Landtage künftig jeweils neu entscheiden müssen, in welchen Kommunen nun eine Überforderung des Gesundheitssystems drohe. Wenn sich die Lage wieder verschärfe, werde der Bund das Infektionsschutzgesetz erneut ändern, sagte Scholz zu. Er sprach sich abermals für eine allgemeine Impfpflicht aus.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Donnerstag 294.931 Neuinfektionen binnen 24 Stunden – einen neuen Höchstwert. Das sind 32.179 Fälle mehr als vor einer Woche. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 1651,4 von 1607,1 am Vortag und erreichte damit ebenfalls einen neuen Höchstwert. 278 weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Todesfälle auf 126.420. Die Zahl der Intensivpatienten mit dem Virus in Krankenhäusern betrug am Donnerstag 2241.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb zur Kritik von Wüst und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder auf Twitter: “Ministerpräsidenten Wüst und Söder beklagen den Wegfall der Schutzmaßnahmen. Dabei hatten sie den Wegfall aller Maßnahmen bei der letzten MPK ab Montag selbst beschlossen.” Er kämpfe um jede mögliche Verbesserung der Lage, mehr gehe derzeit aber nicht. “Maske und 2G+ ohne drohende Überlastung? Machen weder Gerichte noch FDP. Mag man nicht mögen. Aber so ist es.”
Die meisten Länder haben bereits angesichts der hohen Infektionszahlen die aktuellen Regeln bis zum 2. April verlängert und wollen damit so lange wie nach dem neuen Bundesgesetz erlaubt an den alten Regeln festhalten. Die Regeln des bisherigen Infektionsschutzgesetzes laufen am Samstag aus. Ohne Neuregelung wären dann gar keine Schutzmaßnahmen mehr möglich. Neben einem “Basisschutz” mit Maskenpflicht etwa im öffentlichen Nahverkehr sollen eingeschränkte weitere Schutzmaßnahmen in sogenannten Hotspots mit hohen Infektionszahlen weiter möglich sein.
Als Begründung für die Rückführung der Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen führt die Ampel-Koalition an, dass trotz steigender Fallzahlen keine Überlastung des Gesundheitssystems drohe. Grund ist der häufig mildere Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit der vorherrschenden Omikron-Virusvariante. Kritiker verweisen dagegen auf die nach wie vor hohe tägliche Zahl an Corona-Toten sowie dauerhafte gesundheitlichen Probleme von Infizierten durch Long-Covid.
(Reporter: Andreas Rinke, Patricia Weiß; redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)