London (Reuters) – Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien haben die Wähler Premierminister Boris Johnson und seine Konservative Partei für die Party-Skandale während der Corona-Lockdowns abgestraft.
Ersten Ergebnissen zufolge verloren die Torys die Kontrolle über mehrere ihrer traditionellen Hochburgen, darunter wichtige Stadtbezirke in London sowie Gemeindesitze im Süden Englands.
Grund ist vor allem die “Partygate”-Affäre. Dabei geht es um illegale Feiern während der Lockdowns am Amtssitz des Premiers in der Downing Street. Johnson dementierte erst, davon gewusst zu haben. Vergangenen Monat wurde er dann aber zu einem Bußgeld wegen der Teilnahme an einer Geburtstagsfeier in seinem Büro im ersten Jahr der Corona-Pandemie verpflichtet. Vor allem der Zorn über die Partys lastet seit Monaten auf Johnson. Aber auch mehrere andere Skandale hinterließen Spuren an seinem Image und dem der Konservativen Partei. Hinzu kommen die explodierenden Lebenshaltungskosten. Millionen Menschen leiden unter den gestiegenen Preisen für Energie und Lebensmittel. Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr und droht sogar noch weiter zu steigen.
Die Kommunalwahlen in England, Wales und Schottland, bei denen es am Donnerstag um Tausende Sitze in Gemeinden und Bezirken ging, waren somit der erste große Stimmungstest seit “Partygate”. Einen Rücktritt hat Johnson bislang stets abgelehnt, obwohl sogar in seiner eigenen Partei die Rufe danach lauter wurden, so auch am Freitag, als die ersten Ergebnisse durchsickerten. “Ich habe einfach das Gefühl, dass die Leute nicht mehr darauf vertrauen, dass man sich darauf verlassen kann, dass der Premier die Wahrheit sagt”, sagte der Tory-Vorsitzende des Stadtrats von Carlisle, John Mallinson.
“WARNSCHUSS DER KONSERVATIVEN WÄHLER”
Viele Konservative befürchten, dass mit Johnson die nächsten Parlamentswahlen in etwa zwei Jahren nicht mehr zu gewinnen sind. “Das ist ein Warnschuss der konservativen Wähler”, sagte Daniel Thomas, der Vorsitzende des Bezirksrats von Barnet, einem Stadtteil von London, der seit 1964 bis auf wenige Ausnahmen konservativ geführt wurde, nun aber die Farbe wechselt.
Das gilt auch für Westminister im Zentrum von London: Erstmals überhaupt konnte die oppositionelle Labour-Partei den prestige- und symbolträchtigen Hauptstadt-Bezirk, in dem viele Regierungsgebäude stehen, erobern. Auch den Bezirk Wandsworth mussten die Konservativen abgeben. Seit 1978 war er fest in ihrer Hand. Im Norden und Landesinneren, wo viele Wähler 2016 beim Brexit-Referendum für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatten, konnten sich die Torys dagegen nach ersten Erkenntnissen weitgehend behaupten. Endgültige Ergebnisse wurden im Laufe des Tages erwartet.
Feierlaune aber herrschte vor allem bei der Opposition. “Fantastische Ergebnisse, absolut fantastisch”, sagte Labour-Chef Keir Starmer vor Anhängern in London. “Das ist ein großer Wendepunkt für uns nach den Tiefen der Parlamentswahl 2019.” Damals sicherten sich die Konservativen mit Johnson als Spitzenkandidaten die größte Mehrheit im Unterhaus seit über 30 Jahren. Doch zweieinhalb Jahre später ist von der Begeisterung selbst in den eigenen Reihen nicht mehr viel übrig.
Mit Spannung erwartet wurde auch der Ausgang der Wahl des Regionalparlaments in Nordirland erwartet. In der britischen Provinz bestimmten pro-britische Unionisten jahrelang maßgeblich die Geschicke. Letzten Umfragen zufolge lag diesmal aber die katholisch-nationalistische Partei Sinn Fein vorne, die für eine Vereinigung der Provinz mit dem EU-Staat Irland eintritt.