– von Anne Kauranen und Pavel Polityuk
Helsinki/Kiew/Berlin (Reuters) – Als Folge des russischen Einmarschs in der Ukraine haben sich die Spitzen der finnischen Staatsführung für einen Nato-Beitritt ausgesprochen.
“Finnland muss unverzüglich einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft stellen”, sagten Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin am Donnerstag in Helsinki in einer gemeinsamen Erklärung. Russische Kritik an diesem Schritt wies Niinistö ausdrücklich zurück. “Sie haben das verursacht. Schauen Sie in den Spiegel”, sagte er in Anspielung auf Russlands Präsident Wladimir Putin und den russischen Angriff auf die Ukraine. Die russische Regierung reagierte mit scharfer Kritik und kündigte Gegenmaßnahmen an.
Es wird erwartet, dass auch das bisher ebenfalls neutrale Schweden einen Beitrittswunsch äußern wird, weil es sich von Russland bedroht fühlt. Das US-Verteidigungsministerium erklärte, dass man davon ausgehe, dass Finnland und gegebenenfalls auch Schweden rasch eine Mitgliedschaft in dem transatlantischen Militärbündnis gewährt werde. Dies würde den Weg für eine verstärkte Truppenpräsenz in Skandinavien bereits während der einjährigen Ratifizierungsphase ebnen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, die Finnen würden “herzlich willkommen” geheißen. Er versprach einen “reibungslosen und zügigen” Beitrittsprozess.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits vergangene Woche deutlich gemacht, dass Deutschland einen Beitritt beider Länder zur Nato unterstützt. Auch die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen setzte sich in einer ersten Stellungnahme für eine rasche Aufnahme ein. Vor allem die baltischen Staaten sind für einen Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens, weil dies den Schutz für die Nato- und EU-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen vor einem russischen Angriff erleichtern würde.
Finnland hat eine 1300 Kilometer lange Grenze, im Zuge des Zweiten Weltkriegs kam es zu einer sowjetischen Invasion. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Land neutral, um die Beziehungen zur damaligen Sowjetunion und dann Russland nicht zu belasten. Als EU-Mitglied ist Finnland, das wie Schweden 1995 der Europäischen Union beitrat, aber bereits in einige gemeinsame militärische Strukturen eingebunden. Russland hatte Finnland vor einem Beitritt in die Nato gewarnt.
MEDWEDEW WARNT VOR KONFLIKT MIT NATO
Russland bezeichnete einen finnischen Nato-Beitritt als feindlichen Schritt, der “definitiv” eine Bedrohung für die russische Sicherheit darstelle. Das Präsidialamt erklärte, Russland werde darauf reagieren. Es lehnte es jedoch ab, die Art und Weise zu erläutern. Dies werde davon abhängen, wie nahe die Nato militärische Einrichtungen an die finnisch-russische Grenze heranrücke. Das russische Außenministerium erklärte, Russland müsse “Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, sowohl militärisch-technischer als auch anderer Art, um eine Bedrohung seiner nationalen Sicherheit zu verhindern”.
Schon zuvor hatte einer der engsten Verbündeten von Präsident Putin den Westen gewarnt, dass die zunehmende militärische Unterstützung der Ukraine durch die USA und ihre Verbündeten einen Konflikt zwischen Russland und der Nato auslösen könnte. Der ehemalige Präsident und jetzige Vize-Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew sagte, ein solcher Konflikt mit der Nato berge immer das Risiko eines ausgewachsenen Atomkriegs.
UKRAINISCHE ERFOLGE NAHE CHARKIW
Im Ukraine-Krieg gab es unterschiedliche Meldungen über den Kriegsverlauf. Das russische Militär gab den Beschuss von zwei Munitionslagern der ukrainischen Streitkräfte in der nördlichen Region Tschernihiw bekannt. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen zudem mit, dass das Militär ein ukrainisches Luftabwehr-Raketensystem vom Typ S-300 in der Region Charkiw im Osten und eine Radarstation nahe der Hafenstadt Odessa im Süden des Landes zerstört habe.
Die ukrainischen Streitkräfte ihrerseits setzten nach britischen Angaben ihren Gegenangriff nördlich der zweitgrößten Stadt Charkiw im Osten des Landes fort. Sie hätten mehrere Städte und Dörfer in Richtung der russischen Grenze zurückerobert, teilte das britische Verteidigungsministerium in einem Lagebericht über Twitter mit. Reuters-Journalisten haben bestätigt, dass die Ukraine nun die Kontrolle über das Gebiet an den Ufern des Flusses Siwerskyj Donez, etwa 40 km von Charkiw entfernt, übernommen hat. Die russischen Truppen müssten sich auf das Ostufer des Flusses zurückziehen. Russische Truppen waren am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert. Während Russland offiziell von einer Spezialoperation zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine spricht, reden westliche Regierung und die Ukraine von einem Angriffskrieg.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bezeichnete bei einem Besuch in Berlin die Differenzen mit Deutschland als beigelegt. “Deutschland hat die Vorreiterrolle übernommen”, sagte Kuleba in der ARD mit Blick auf die Ukraine-Unterstützung in Europa. Man sehe eine veränderte Haltung gegenüber Waffenlieferungen und in der Sanktionsdebatte. Kuleba traf am Donnerstag in Berlin die Fraktionsführungen von SPD, Grünen, FDP und Union. Er trifft auch mit Wirtschaftsminister Robert Habeck zusammen bevor er zum G7-Außenministertreffen in Weißenhaus in Schleswig-Holstein weiterreist.
Die SPD unterstützte den Wunsch der Ukraine, Ende des Monats von der EU den Status eines Beitrittskandidaten zu erhalten. “Es ist wichtig, dass wir ein klares Signal senden, dass wir die Ukraine in der EU haben wollen, dass sie Mitglied wird, und dann auch den Kandidatenstatus bekommt”, sagte SPD-Co-Chef Lars Klingbeil nach einem Treffen mit Kuleba.