Berlin (Reuters) – Trotz Berichten über Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren hält die deutsche Wirtschaft einen Abbruch der ökonomischen Beziehungen zu China für nicht machbar.
“Ein sofortiger und kompletter Rückzug aus China ist aus volkswirtschaftlicher Sicht aktuell nicht möglich”, sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. “Die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten sind im Falle Chinas um ein Vielfaches höher als bei Russland.” Die wirtschaftlichen Erschütterungen wären daher enorm. China ist seit 2016 Deutschlands wichtigster Handelspartner – mit einem Warenaustausch von mehr als 245 Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr.
Die Diversifizierungsbemühungen der deutschen Wirtschaft seien ohnehin in vollem Gange. “Das hat zunächst mehr mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu tun”, sagte Jandura. Aber auch die Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung habe dazu beigetragen. “Wir erleben derzeit zudem einen Rückzug von Personal bei ausländischen Unternehmen mit Sitz in China”, sagte der BGA-Chef. “Die Abhängigkeit von Staaten wie China verringert sich also nach und nach. Aber das braucht Zeit und verursacht höhere Kosten.”
Die Familienunternehmen fordern eine Neuaufstellung Deutschlands und Europas durch mehr Handel mit demokratischen Rechtsstaaten. “So sollten handelspolitische Initiativen wie zum Beispiel die vollständige Ratifizierung des EU-Handelsabkommens Ceta mit Kanada oder ein vollständiges europäisch-amerikanisches Handelsabkommen mit Nachdruck forciert werden”, sagte Hauptgeschäftsführer Albrecht von der Hagen.
Diese Woche hatten zahlreiche Medien erneut von Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in China berichtet. Sie stützen sich dabei auf Fotos aus chinesischen Internierungslagern in der Region Xinjiang. Dem BGA zufolge sollte jedes Unternehmen kritisch prüfen, welchen Ursprung die Waren und Rohstoffe haben und mit welchen Geschäftspartnern man es zu tun habe. “Viele Groß- und Außenhändler tun dies schon längst”, sagte Jandura. Hilfreich wären sogenannte weiße oder schwarze Listen, die den Firmen Klarheit verschafften, mit welchen Geschäftspartnern Handel eingeschränkt oder beibehalten werden kann.
Wirtschaftsexperten schätzen die Zahl der deutschen Unternehmen mit wirtschaftlichem Engagement in Xinjiang auf weniger als zehn – darunter sind allerdings auch Großkonzerne wie Volkswagen und BASF. Die große Masse der insgesamt 5200 deutschen Unternehmen in China ist überwiegend im Osten des Landes angesiedelt. Aus Xinjiang stammt Experten zufolge etwa die Hälfte des weltweit produzierten Polysiliziums, das etwa für Halbleiter und Solarpanels benötigt wird. “Die deutsche Energiewende ohne Polysilizium aus der Region wird sehr schwierig”, sagte ein Industrievertreter.