Institute erwarten weniger Wachstum und mehr Inflation

Berlin (Reuters) – Weniger Wachstum, mehr Inflation: Führende Institute blicken wegen der wirtschaftlichen Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine pessimistischer auf die deutsche Konjunktur.

Das Münchner Ifo-Institut senkte am Mittwoch seine Prognose für das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr von 3,1 auf 2,5 Prozent. Das in Essen beheimatete RWI nahm seine Vorhersage sogar von 2,5 auf 1,9 Prozent zurück. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) blieb zwar bei seinen schon im März prognostizierten 2,1 Prozent, senkte aber den Ausblick für das kommende Jahr von 3,5 auf 3,3 Prozent. “Die hohe Inflation dämpft die Erholung der Konjunktur”, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Erst im Juli oder August werde Europas größte Volkswirtschaft ihr vor Ausbruch der Corona-Pandemie erreichtes Niveau wieder schaffen.

Die Ukraine-Krieg und die Corona-Lockdowns beim wichtigsten Handelspartner China gelten als größte Risiken für deutsche Konjunktur. Beides trägt dazu bei, dass die Verbraucherpreise in diesem Jahr so stark steigen könnten wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland: Waren und Dienstleistungen dürften sich um durchschnittlich 7,4 Prozent verteuern, sagen die IfW-Forscher voraus. Im März waren sie lediglich von 5,8 Prozent ausgegangen. Auch für 2023 hoben sie die Vorhersage kräftig an, und zwar von 3,4 auf 4,2 Prozent. Sie läge dann immer noch mehr als doppelt so hoch wie von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebt, die die Teuerungsrate bei zwei Prozent halten will. Der russische Krieg gegen die Ukraine hat die Energiepreise in die Höhe getrieben, während sich Lieferengpässe zugleich verschärft haben.

“MASSIVE BELASTUNG”

“Die Kaufkraft der verfügbaren Einkommen wird massiv durch die hohe Inflation belastet”, schreiben die IfW-Experten. “Im laufenden Jahr werden die real verfügbaren Einkommen deshalb nochmals deutlich zurückgehen.” 2023 dürften sie dann zwar steigen, aber immer noch deutlich niedriger ausfallen als vor Beginn der Corona-Pandemie. Diese Kaufkraftverluste dämpfen die Erholung des privaten Konsums. Dieser dürfte aber trotzdem robust zulegen und das Wachstum anschieben. “Die Menschen gehen wieder raus, konsumieren wieder in Gastronomie, Freizeit, Unterhaltung”, sagte Ifo-Experte Wollmershäuser. Da dies während der beiden vergangenen Corona-Jahre nur eingeschränkt möglich gewesen sei, hätten die privaten Haushalte eine Überschussersparnis von 200 Milliarden Euro angehäuft. Zumindest ein Teil dieses Geldes könne nun in den Konsum fließen.

Trotz der insgesamt schwierigen konjunkturellen Lage rechnet das Ifo-Institut mit weniger Arbeitslosen. Deren Zahl soll in diesem Jahr um rund 300.000 auf gut 2,3 Millionen sinken und 2023 erneut leicht zurückgehen. Das Loch in der Staatskasse dürfte sich in dieses Jahr halbieren – und zwar von 131 auf 65 Milliarden Euro. 2023 soll das Defizit bei nur noch zwölf Milliarden Euro liegen.

Trotz der hohen Inflation geht das RWI-Institut nicht davon aus, dass sich Löhne und Preis gegenseitig hochschaukeln. Die Löhne seien zwar zuletzt stärker gestiegen als im Schnitt der vergangenen Jahre. Gleichzeitig ziehe die Inflation kräftig an und erhöhe die Lebenshaltungskosten deutlich. Daher müssten deutschlandweit Arbeitnehmer fallende Reallöhne hinnehmen. Es sei auch nicht zu erwarten, dass kommende Lohnsteigerungen 2022 und 2023 mit der Inflationsrate Schritt halten, “so dass sich derzeit keine Lohn-Preis-Spirale abzeichnet”. Die Tariflöhne dürften laut RWI in diesem Jahr nominal um 2,6 Prozent steigen, 2023 dann um 3,6 Prozent.

(Bericht von Rene Wagner, Klaus Lauer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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