Russland – Region Luhansk ist vollständig erobert

Kiew (Reuters) – Nach wochenlangen Kämpfen haben russische Truppen nach eigener Darstellung die ostukrainische Bastion Lyssytschansk erobert und damit die Kontrolle über die gesamte Region Luhansk übernommen.

Verteidigungsminister Sergej Schoigu informierte Präsident Wladimir Putin offiziellen Angaben zufolge am Sonntag darüber, dass das ganze Gebiet Luhansk “befreit” worden sei. Nach Angaben des Ministeriums gelang es russischen Soldaten und pro-russischen Separatisten am Sonntag zunächst, Lyssytschansk einzukesseln und dann in die Stadt einzudringen, um dort “den umzingelten Feind vollständig zu besiegen”.

Die Militärführung der Ukraine teilte später mit, dass die ukrainischen Streitkräfte aus Lyssytschansk abziehen mussten. Eine weitere Verteidigung der Stadt hätte fatale Konsequenzen gehabt. Um das Leben der ukrainischen Soldaten zu retten, sei die Entscheidung zum Rückzug getroffen worden. Am Samstagabend hatte ein Sprecher der ukrainischen Nationalgarde noch erklärt, die Stadt sei zwar heftig umkämpft, befinde sich aber weiter unter Kontrolle der ukrainischen Armee.

Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Eroberung von Luhansk und zuletzt insbesondere von Lyssytschansk war eines der wichtigsten Kriegsziele Russlands. Die Gebiete Luhansk und Donezk in der Ukraine bilden den Donbass. Die russische Offensive konzentrierte sich in den vergangenen Wochen vor allem darauf, das Gebiet, über dessen Teile pro-russische Separatisten seit 2014 die Kontrolle übernahmen, vollständig zu beherrschen. Kürzlich war es ihr nach zermürbenden Kämpfen gelungen, die Nachbarstadt Sjewjerodonezk auf der anderen Flussseite von Lyssytschansk einzunehmen.

WEITERE STÄDTE BESCHOSSEN

Größere Teile der Region Donezk werden weiter von ukrainischen Truppen kontrolliert. Dort wurde die Stadt Slowjansk nach ukrainischen Angaben am Sonntag von mehreren russischen Raketenwerfern beschossen. Dabei seien sechs Menschen getötet und 15 verletzt worden, teilten die Regionalbehörden mit. Bürgermeister Wadym Ljach schrieb auf Telegram, 15 Brände seien ausgebrochen. Es handle sich um den schwersten Beschuss dieser Stadt im Gebiet Donezk in der jüngeren Zeit.

Auch aus anderen Landesteilen wurden erneut Kampfhandlungen gemeldet. Russische Truppen gelangen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau Schläge gegen militärische Infrastruktur im ostukrainischen Charkiw. Im Süden wiederum sei am Rand von Mykolajiw ein Stützpunkt getroffen worden, der von ausländischen Kämpfern genutzt werde.

Die Ukraine wiederum meldete, sie habe in der russisch-besetzten Stadt Melitopol im Süden des Landes eine Militärbasis mit mehr als 30 Treffern aus der Luft zerstört. Die von Russland eingesetzte Verwaltungsbehörde erklärte, es habe zwar keine Opfer gegeben, es seien aber mehrere private Wohnhäuser in der Nähe eines Flugfeldes getroffen worden.

RUSSLAND MELDET TOTE BEI EXPLOSIONEN IN BELGOROD

Gut 40 Kilometer jenseits der ukrainischen Grenze wurden Explosionen aus der russischen Stadt Belgorod gemeldet. Der Gouverneur der gleichnamigen russischen Region, Wjatscheslaw Gladkow, teilte mit, es seien mindestens drei Menschen getötet und vier weitere verletzt worden. Mindestens elf Wohnblöcke und 39 Privathäuser seien beschädigt worden. Genaue Angaben zur Ursache der Detonationen machte er nicht. Er sprach lediglich von einem “Vorfall”. Ein Bewohner der Stadt sagte der Nachrichtenagentur Reuters, eine Rakete sei etwa 20 Meter von seinem Haus entfernt gegen 3.00 Uhr Ortszeit in Wohnblöcken eingeschlagen. “Es war so laut, dass ich aufgesprungen bin. Ich wachte auf, bekam große Angst und fing an zu schreien.” Alle Fenster in seinem Haus seien zersprungen. Die Türen seien aus den Angeln geflogen.

Der ranghohe russische Abgeordnete Andrej Klischas machte die Ukraine verantwortlich. “Der Tod von Zivilisten und die Zerstörung ziviler Infrastruktur in Belgorod sind ein direkter Akt der Aggression seitens der Ukraine und erfordern die härteste – einschließlich einer militärischen – Reaktion”, schrieb er auf dem Messengerdienst Telegram.

Reuters konnte die Angaben nicht unabhängig überprüfen. Aus der Ukraine lag zunächst keine Reaktion vor. In Belgorod leben knapp 400.000 Menschen. Die Stadt ist das Verwaltungszentrum der gleichnamigen Region. Seit Beginn der von Russland als militärischer Sondereinsatz bezeichneten Invasion der Ukraine am 24. Februar gab es immer wieder Berichte über Angriffe in Belgorod und andere grenznahe Gebiete. Moskau wirft der Ukraine vor, hinter den Angriffen zu stecken. Die Regierung in Kiew hat sich nicht dazu bekannt, die Vorfälle aber als Quittung und Karma für Russlands Invasion bezeichnet.

SCHOLZ: UKRAINE ERHÄLT DIE NÖTIGEN WAFFEN

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigte, die Ukraine erhalte die für den Kampf gegen Russland nötigen Waffen. Man liefere das, “was in der gegenwärtigen Auseinandersetzung notwendig ist”, sagte Scholz am Sonntag in der ARD. Die Ukraine hatte westliche Staaten wiederholt um eine rasche Ausweitung der Waffenlieferungen gebeten, um sich besser verteidigen zu können.

(Bericht von Tom Balmforth, Max Hunder und Simon Lewis, geschrieben von Christian Rüttger und Jörn Poltz, redigiert von Birgit Mittwollen.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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