– von Christian Krämer und Andreas Rinke
Berlin (Reuters) – Vize-Kanzler Robert Habeck warnt ungewöhnlich deutlich vor einem Scheitern der Ampel-Regierung.
In einem kurzen Auftritt am Montagnachmittag appellierte der Grünen-Politiker an SPD und FDP, jetzt Kompromisse zu finden. Anders als bisher signalisierte er Bereitschaft, die eigentlich für den Chipkonzern Intel vorgesehenen, nun aber nicht mehr benötigten Milliarden zur Reduzierung von Haushaltslöchern zu nutzen – wie es Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner gefordert hat. Die FDP hatte zuvor einen Kollaps der Regierung in dieser Woche nicht ausgeschlossen.
Habeck sagte, die Ampel sei in schwerem Fahrwasser. “Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland.” Der Streit habe nicht das Vertrauen in die Regierung gestärkt – und dies zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, weil Russland auf dem Vormarsch in der Ukraine sei, die US-Wahl bevorstehe und die Wirtschaft sich schlecht entwickele. “Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert.” Habeck hatte zuletzt mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Lindner nach Auswegen gesucht.
Der Wirtschaftsminister betonte zudem, dass die Koalition sich noch auf einen Haushalt für 2025 verständigen könne. Dies soll nächste Woche im Bundestag geschehen. Es erfordere aber noch einmal eine große Kraftanstrengung. Ohne Haushaltseinigung stehe Deutschland eine lange Hängepartie bevor. Die eigentlich im Transformations- und Klimafonds KTF enthaltenen zehn Milliarden Euro für Intel könnten auch anderweitig genutzt werden. Sie sind freigeworden, weil der US-Konzern zunächst nicht wie geplant eine neue Fabrik in Magdeburg bauen wird.
KOALITIONSAUSSCHUSS AM MITTWOCH WIRD WICHTIG
Habeck forderte, die im Sommer beschlossene Wachstumsinitiative – ein Maßnahmenbündel zur Stärkung des Standorts – müsse schnell und vollständig umgesetzt werden. Dies könnte bis zu 0,5 Prozentpunkte mehr Wachstum bringen. Dieser Impuls werde dringend benötigt. Wegen der Wirtschaftsmisere fordert Lindner einen radikalen Kurswechsel, unter anderem mit weniger Bürokratie, Steuersenkungen, einer Abschaffung des KTF und einer Verschiebung der Klimaziele. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte Habeck namentlich auf, seine Politik zu ändern. “Die bisherige Wirtschaftspolitik war nicht erfolgreich.”
Kleinere Reformen zur Stabilisierung der Wirtschaft reichten nicht aus, ergänzte der Chef der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr. “Es ist sozusagen zwölf Uhr.” Die Wirtschaft werde 2024 erneut schrumpfen und es bestehe die Sorge, dass dies auch 2025 anhalte. Lindners Vorschläge seien umsetzbar und finanzierbar. Es werde dazu diese Woche mit den Ampel-Partnern weitere Gespräche geben. Dann brauche es auch Ergebnisse.
SCHOLZ FORDERT PRAGMATISMUS
Scholz forderte “Pragmatismus” auf allen Seiten ein. “Was die Situation in Deutschland betrifft, bestehe ich darauf, dass die Regierung ihre Arbeit zu machen hat und dass Pragmatismus dabei die richtige Maßgabe ist”, sagte er in Berlin. Es gebe Aufgaben, die gelöst werden müssten und die gelöst werden könnten. “Mir ist wichtig, dass dabei Wirtschaft und Arbeitsplätze im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.” Dass Koalitionsregierungen manchmal “herausfordernd” seien, sei nicht nur in Deutschland so. “Die Regierung ist gewählt im Amt und wird ihre Aufgaben erledigen.”
Am Mittwochabend – kurz nach der US-Wahl – soll der Koalitionsausschuss tagen. Djir-Sarai sagte auf die Frage, ob dann Schluss sein könnte: “Das wird man sehen.” Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte in Kiew, alle Beteiligten sollten sich wegen der internationalen Entwicklungen und Herausforderungen auf ihre Aufgaben konzentrieren.
Deutliche Kritik an Lindner kam von SPD-Co-Chefin Saskia Esken. Sie sagte, in dessen Wirtschaftspapier sei kein einziger Punkt in einer sozialdemokratisch geführten Regierung umsetzbar. Am Morgen hatten sich SPD-Generalsekretär Matthias Miersch und der Regierungssprecher noch optimistisch gezeigt, dass sich SPD, Grüne und FDP auf ein gemeinsames Konzept zur Ankurbelung der Wirtschaft einigen können. “Ich bin zuversichtlich, dass es am Ende allen Beteiligten darum geht, hier Stabilität herzustellen in diesem Land in schwierigen Zeiten”, sagte Miersch in der ARD. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, dass Scholz damit rechne, dass die Koalition bis zum regulären Wahltermin Ende September 2025 halte.
Grünen-Co-Chef Omid Nouripour betonte, dass man in der Ampel weiterarbeiten wolle. “Wir wollen den Bruch nicht. Wir gehen auch davon aus, dass andere vertragstreu sind”, sagte er nach der Sitzung der Parteigremien. Dafür brauche es aber eine Ernsthaftigkeit, die der Situation gerecht werde. Nouripour verwies auf die Krise beim Autobauer VW, die Wahlen in den USA mit ungewissem Ausgang sowie die Überschwemmungen in Spanien.
(Mitarbeit Holger Hansen und Aleander Ratz, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)