Armeechef Aoun zum neuen Präsidenten im Libanon gewählt

Beirut (Reuters) – Im Libanon hat das Parlament den bisherigen Armeechef Joseph Aoun zum Präsidenten gewählt.

Mit ihm übernimmt ein General das lange vakante Amt des Staatsoberhauptes, der die Anerkennung der USA genießt. Aouns Wahl zeigt, wie stark der Einfluss der lange überaus mächtigen Hisbollah, die nicht nur Miliz sondern auch politische Partei ist, im Konflikt mit Israel zurückgegangen ist. Hier spiegelt sich nicht nur die Machtverschiebung innerhalb des Libanons, sondern darüber hinaus im Nahen Osten wider. Durch die Schwäche der schiitischen Hisbollah nimmt der Einfluss ihres Verbündeten Iran in der Region ab. Zudem wurde im Dezember der syrische Präsident Baschar al-Assad gestürzt, an dessen Seite die Hisbollah-Miliz im Bürgerkrieg gekämpft hatte. Umgekehrt wächst der Einfluss Saudi-Arabiens, das sich als Schutzmacht der Sunniten begreift und mit dem schiitischen Iran seit langem um die Bedeutung als Regionalmacht ringt.

Er werde sich dafür einsetzen, dass das Recht Waffen zu tragen, ausschließlich dem Staat vorbehalten bleibe, sagte Aoun. Damit dürfte er auf das Arsenal der Hisbollah-Miliz angespielt haben, zu dem er sich als Armeechef nicht öffentlich geäußert hatte. Er verspreche, wieder aufzubauen, was das israelische Militär im Kampf gegen die Hisbollah im Süden des Landes und in der Hauptstadt Beirut zerstört habe. Er wolle sich zudem für bessere Beziehungen zu den arabischen Ländern einsetzen. “Wir haben eine historische Gelegenheit, die Beziehungen zu Syrien wiederherzustellen”, sagte Aoun.

Der 60-Jährige war seit 2017 Kommandeur der libanesischen Armee. Beim Zustandekommen der Waffenruhe zwischen Hisbollah und Israel, die im November von den USA und Frankreich vermittelt wurde, spielte Aoun eine wichtige Rolle. Der Vereinbarung zufolge soll das libanesische Militär in den Süden des Libanons einrücken, während das israelische Militär und die Hisbollah-Miliz abziehen.

AOUN IN ZWEITER RUNDE AUCH MIT HISBOLLAH-STIMMEN GEWÄHLT

Parlamentspräsident Nabih Berri teilte mit, Aoun habe in der ersten Runde der Abstimmung knapp die nötigen 86 Stimmen verfehlt. In der zweiten Runde habe er aber mit 99 Stimmen die erforderliche Mehrheit übertroffen, weil ihn auch die Abgeordneten der Hisbollah und ihres schiitischen Verbündeten, der Amal-Bewegung, unterstützten.

Das Präsidentenamt, das im konfessionellen Machtteilungssystem des Libanon einem maronitischen Christen vorbehalten ist, ist seit dem Ende der Amtszeit von Michel Aoun im Oktober 2022 vakant. Die zutiefst gespaltene Fraktionen hatten sich lange nicht auf einen Kandidaten einigen können, der im 128 Sitze umfassenden Parlament genügend Stimmen auf sich hätte vereinen können. Der Wunschkandidat der Hisbollah, Suleiman Frangieh, hatte zuvor seinen Rückzug und seine Unterstützung für Joseph Aoun bekanntgegeben.

Aouns Wahl ist ein erster Schritt zur Wiederbelebung der Regierungsinstitutionen in einem Land, das seit dem Ausscheiden seines Vorgängers aus dem Amt weder ein Staatsoberhaupt noch ein Kabinett mit umfassenden Befugnissen hatte. Der Libanon leidet noch immer unter den Folgen eines verheerenden Finanzkollapses im Jahr 2019. Das Land ist dringend auf internationale Unterstützung angewiesen, um den Wiederaufbau nach dem Krieg zu finanzieren, der das Land nach Schätzungen der Weltbank 8,5 Milliarden Dollar gekostet hat.

(Bericht von: Laila Bassam, Timour Azhari, Maya Gebeily; geschrieben von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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