Frankfurt (Reuters) – Wer in Europa Autos verkaufen will, soll nach Vorstellung der IG Metall hier auch eine eigene Produktion aufbauen und für Beschäftigung sorgen.
Europa brauche eine “Local-Content-Strategie”, also eine Pflicht für ausländische Anbieter von Produkten zu Investitionen in europäische Standorte und zum Bezug von Teilen aus hiesiger Fertigung, erklärte die Gewerkschaft am Montag in Frankfurt. “Wer Europa als Markt sieht, der muss auch anteilig für Beschäftigung in Europa verantwortlich sein”, sagte der Zweite Vorsitzende Jürgen Kerner. So sollten etwa Pkw-Hersteller aus China oder den USA, die in Europa Autos verkaufen wollen, zu europäischer Fertigung verpflichtet werden.
“So verringern wir Abhängigkeiten und stärken Resilienz, Klimaschutz und vor allem Beschäftigung”, ergänzte Kerner. Die künftige Bundesregierung müsse sich für eine solche Strategie in der Europäischen Union einsetzen. Mehrere chinesische Hersteller von E-Autos bauen bereits Werke in Europa, allerdings an Standorten mit niedrigeren Arbeitskosten als hierzulande. So errichtet BYD ein Werk in Ungarn, Leapmotor will mit Stellantis in Polen fertigen, Chery in einem Joint-Venture in Spanien. Chinesische Autobauer sind Insidern zufolge auch an VW-Werken interessiert, die der Volkswagen-Konzern nicht mehr braucht und vor einigen Monaten noch schließen wollte, wie zum Beispiel die Fabrik in Osnabrück.
“Das könnte für solche Werke eine Lösung sein”, sagte Benner. Investitionen müssten auch nach Deutschland gelockt werden – aber mit Bedingungen verknüpft werden wie tariflichen Standards. Autohersteller aus China seien genauso willkommen wie aus den USA.
Nach dem Vorschlag der Gewerkschaft sollte zunächst ein niedriger Anteil europäischer Vorprodukte verpflichtend sein. Dass damit ausländische Investoren abgeschreckt werden, erwartet Gewerkschaftsvize Kerner nicht. Schließlich seien umgekehrt für deutsche Autobauer in China ähnliche Vorschriften üblich.
STAAT UND UNTERNEHMEN GEFORDERT
Die größte deutsche Gewerkschaft fordert zudem eine Job-Offensive von Unternehmen und Politik, um eine Deindustrialisierung Deutschlands zu verhindern. “Alle müssen jetzt ihren Beitrag leisten, um Wertschöpfung im Land zu halten und gleichzeitig neue Arbeitsplätze und Industrien anzusiedeln”, sagte IG-Metall-Chefin Christiane Benner. “Ohne moderne Industrie ist Deutschland ein armes Land, das werden wir als IG Metall verhindern.” Der Staat sei als aktiver Wegbegleiter gefragt – mit öffentlichen Investitionen in Infrastruktur und Bildung, Investitionszuschüssen für Unternehmen, dem Sichern niedriger Energiepreise oder dem Ausbau des Sozialstaats. Für ihre Forderungen zur Industriepolitik will die IG Metall bei einem Aktionstag am 15. März bundesweit Druck machen und Gehör finden während dann womöglich laufender Koalitionsverhandlungen.
Die gleiche Stoßrichtung hat ein gemeinsamer Brief von der IG Metall angehörenden Betriebsratsvorsitzenden und Chefs der fünf großen Autozulieferer Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen, Schäffler und Mahle an Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Gegenkandidaten im Bundestagswahlkampf, den auch Benner unterschrieb. Sie fordern gemeinsam von der Politik, den Hochlauf der Elektromobilität zu unterstützen, da die Zulieferer auf hohen Investitionen sitzen, die E-Auto-Nachfrage aber einbrach und Tausende Arbeitsplätze gefährdet sind.
Der Stellenabbau in der Metall- und Elektroindustrie und anderen Branchen in der Wirtschaftskrise hat zum Rückgang der Mitgliederzahl der IG Metall beigetragen. Derzeit gehören der Gewerkschaft 2,1 Millionen Menschen an, knapp zwei Prozent weniger als vor Jahresfrist. Die Gewinnung von knapp 115.000 neuen Mitgliedern konnte den Schwund, der auch an der demografischen Entwicklung liegt, nicht ausgleichen.
(Bericht von Ilona Wissenbach. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)