Neue China-Konkurrenz schreckt westliche KI-Firmen auf

Peking/Singapur (Reuters) – Ein angeblich unkompliziertes und kostengünstiges KI-Modell eines chinesischen Startups sorgt für helle Aufregung in der Branche.

“Wir kennen zwar noch nicht alle Details und nichts wurde bislang hundertprozentig bestätigt”, sagte Portfolio-Manager Jon Withaar vom Vermögensverwalter Pictet. Wenn sich aber bewahrheiten sollte, dass sich die Kosten für das Training dieser Künstlichen Intelligenz (KI) auf lediglich sechs statt der bislang üblichen mehr als 100 Millionen Dollar beliefen, wäre dies ein Durchbruch und würde der Verbreitung dieser Technologie zusätzlichen Schub verleihen.

In den USA hat die KI von DeepSeek bereits ChatGPT als beliebteste App in Apples App Store überholt. Der Wagniskapital-Investor Marc Andreessen bezeichnete die Vorstellung der KI-Anwendung “R1” des chinesischen Anbieters daher als “Sputnik-Moment”. Damit spielte er auf den ersten Satelliten an, den die damalige Sowjetunion 1957 in eine Umlaufbahn geschossen hatte. Daraufhin hatten die USA und andere westliche Staaten ihre Weltraumforschung intensiviert.

“DeepSeek R1 ist eine der erstaunlichsten und beeindruckendsten Errungenschaften, die ich je gesehen habe – und als Open Source ein großes Geschenk an die Welt”, schrieb Andreessen auf dem Kurznachrichtendienst X. Bei Open Source-Software ist der Programmcode frei zugänglich und kann von jedem verändert werden. Zu den bekanntesten Beispielen zählen das Betriebssystem “Linux” und der Internet-Browser “Firefox”. An der Entwicklung des “Firefox”-Vorläufers “Netscape Navigator” war Andreessen maßgeblich beteiligt.

TECHNOLOGISCH GLEICHWERTIG BEI EINEM BRUCHTEIL DER KOSTEN?

Die neue KI basiert DeepSeek zufolge auf einer deutlich geringeren Datenbasis als die Konkurrenz. Für das Training des vor einigen Wochen veröffentlichten “R1”-Vorgängers “V3” habe die Firma Nvidias KI-Chips der Modellreihe “H800” genutzt. Dabei handelt es sich um eine abgespeckte Version der im Westen erhältlichen Prozessoren, die nicht unter das US-Embargo für Technologie-Exporte nach China fällt. Die Kosten für das KI-Training bezifferte DeepSeek auf weniger als sechs Millionen Dollar. Dennoch könnten sich sowohl “V3” als auch der erst wenige Tage alte Nachfolger “R1” mit Rivalen wie ChatGPT von OpenAI oder “Llama” der Facebook-Mutter Meta messen.

Den Analysten des Vermögensverwalters Bernstein zufolge sind die Gesamt-Entwicklungskosten der DeepSeek-KI “V3” zwar nicht bekannt, liegen aber wohl deutlich über den angegebenen knapp sechs Millionen Dollar. Diese Summe beziehe sich auf die Rechenleistung, die für das Training benötigt worden sei. Zudem habe DeepSeek keine Angaben zu den Entwicklungskosten für “R1” gemacht.

Offiziellen chinesischen Unterlagen zufolge wird das Startup DeepSeek von Liang Wenfeng kontrolliert, dem Mitgründer des Hedgefonds High-Flyer. Der Fonds hatte im März 2023 angekündigt, einen neuen Anlauf zur Entwicklung einer künstlichen Super-Intelligenz nehmen zu wollen. Eine solche Artificial General Intelligence (AGI) kann komplexe Aufgaben ohne jedes menschliche Zutun erledigen.

WESTLICHE TECHNOLOGIEWERTE AUF TALFAHRT

Wegen der möglichen Billig-Konkurrenz aus China nahmen Anleger am Montag bei westlichen Technologiefirmen Reißaus. So rutschten der europäische Branchen-Index um bis zu 5,8 Prozent und der technologielastige Nasdaq in den USA um 3,6 Prozent ab. Damit steuerte Letzterer auf den größten Tagesverlust seit einem halben Jahr zu. Der Philadelphia Halbleiter-Index verlor zeitweise sogar knapp sieben Prozent.

Brian Jacobsen, Chef-Volkswirt des Vermögensverwalters Annex, mahnte allerdings zur Besonnenheit. “Es ist möglich, dass die Nachrichten aus China übertrieben sind. Dann könnten wir eine Umkehrung der jüngsten Marktbewegungen erleben. Es ist auch möglich, dass die Nachrichten wahr sind. Dann würden sich aber neue Anlagemöglichkeiten ergeben.”

(Bericht von Tom Westbrook and Ankur Banerjee; geschrieben von Hakan Ersen. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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