– von Andrew Gray und Lili Bayer und Alexander Ratz
Brüssel/Berlin (Reuters) – Die Ukraine muss nach Auffassung der neuen US-Regierung für ein Ende des russischen Angriffskriegs auf Teile ihres Staatsgebiets verzichten.
“Wir wollen, wie Sie, eine souveräne und prosperierende Ukraine. Aber wir müssen damit beginnen anzuerkennen, dass eine Rückkehr zu den Grenzen der Ukraine vor 2014 ein unrealistisches Ziel ist”, sagte Hegseth bei dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe am Mittwoch in Brüssel. “Die Verfolgung dieses illusorischen Ziels wird den Krieg nur verlängern und mehr Leid verursachen.” Zugleich sehe US-Präsident Donald Trump eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht als Teil einer Lösung an, sagte Hegseth.
Die Äußerungen waren die bisher klarsten und deutlichsten zum Ansatz der neuen US-Regierung in dem mittlerweile seit fast drei Jahren andauernden Krieg. Russland kontrolliert derzeit etwa 20 Prozent des ukrainischen Territoriums, vor allem im Osten und Süden des Landes sowie die bereits 2014 völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim. Hegseth sagte, ein dauerhafter Frieden müsse “robuste Sicherheitsgarantien enthalten, um sicherzustellen, dass der Krieg nicht wieder beginnt”. Umgesetzt werden müsse dies durch “fähige europäische und nicht-europäische Truppen”, sagte der Pentagon-Chef und betonte, die USA würden keine Soldaten in der Ukraine stationieren.
Bei dem Einsatz zur Friedenssicherung in der Ukraine dürfe es sich aber nicht um eine Nato-Mission handeln, bei dem die Beistandspflicht nach Artikel 5 gelten würde, führte Hegseth weiter aus. Eine Friedensvereinbarung dürfe zudem nicht auf ein Abkommen der Art Minsk 3.0 hinauslaufen. Innerhalb des Minsk-Vertrages waren 2014 OSZE-Beobachter im Osten der Ukraine stationiert worden, um eine Demarkationslinie zu sichern. Das Abkommen konnte den Konflikt letztlich aber nicht entschärfen.
“UNTER NEUEN VORZEICHEN”
Die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe zur militärischen Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg kam am Mittwoch erstmals unter Beteiligung der neuen US-Regierung zusammen. Bislang stand das sogenannte Ramstein-Format unter US-Führung, ins Leben gerufen worden war es im April 2022 auf dem gleichnamigen US-Stützpunkt in Rheinland-Pfalz. Dem Format gehören mehr als 50 Länder an, darunter auch alle 32 Nato-Staaten. Das Treffen am Mittwoch stand unter britischem Vorsitz.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte vor dem Treffen im Nato-Hauptquartier, das Format tage mit Blick auf die USA “unter neuen Vorzeichen”. Die Unterstützung der Ukraine müsse fortgesetzt werden. “Das Ziel ist klar, wir wollen unverändert und halten daran fest, dass die Ukraine aus einer Position der Stärke heraus agieren kann”, sagte Pistorius. “Wir wollen als Nato-Partner für die Ukraine-Unterstützung alles tun, dass die fortgeführt wird, das ist in unserem gemeinsamen transatlantischen und internationalen Interesse.”
Am Mittag kam Pistorius in Brüssel auch erstmals mit Hegseth persönlich zusammen. Er habe mit seinem neuen US-Kollegen mehr als 40 Minuten lang teilweise unter vier Augen beraten, berichtete der SPD-Politiker. Es sei ein “offenes, ehrliches und freundliches Gespräch” gewesen, sagte Pistorius. “Wir haben darüber diskutiert … , was wir in den nächsten Monaten und Jahren zu erwarten haben, wie unsere Verpflichtungen aussehen, denen wir gegenüberstehen, und was die Zukunft unserer Zusammenarbeit ist”, sagte der Minister. “Es war ein sehr, sehr fruchtbares Gespräch.”
“EIN GROSSER SCHRITT”
Mit Blick auf die europäische Verteidigungsfähigkeit sagte Hegseth im öffentlichen Teil des Treffens weiter, Militärausgaben von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung seien gerechtfertigt. “Das ist eine Anzahlung für die Zukunft.” Die USA seien nicht mehr bereit, für die Sicherheit Europas zu bezahlen. Sein Land sei eigenen Bedrohungen etwa an seinen Grenzen und durch China im Indo-Pazifik ausgesetzt. Daher werde sich die US-Sicherheitspolitik künftig auf den indo-pazifischen Raum fokussieren. Zugleich blieben die USA der Nato verpflichtet und auch der Verteidigungsgemeinschaft. Europa müsse aber die Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen, sagte Hegseth.
Nach den Worten von Generalsekretär Mark Rutte stimmt die Nato mit Trump überein, dass es mehr Lastenteilung zwischen den USA und den europäischen Verbündeten bei der militärischen Hilfe für die Ukraine geben müsse. Die Nato-Mitglieder hatten im vergangenen Jahr vereinbart, der Ukraine innerhalb eines Jahres Sicherheitshilfen in Höhe von 40 Milliarden Euro zu gewähren. Am Ende waren es mehr als 50 Milliarden, mehr als die Hälfte davon kam nach Nato-Angaben von den europäischen Verbündeten und Kanada, der Rest von den USA. Die Hilfe sei “ein großer Schritt in die Richtung, die Präsident Trump gefordert hat”, sagte Rutte vor den Beratungen der Kontaktgruppe und betonte: “Ich stimme mit ihm überein, dass wir die Sicherheitshilfe für die Ukraine angleichen müssen.”
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