– von Klaus Lauer
Berlin (Reuters) – Die Zahl der Baugenehmigungen ist im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 2010 gefallen und belegt die tiefe Krise am deutschen Immobilienmarkt.
Die Behörden gaben grünes Licht für nur 215.900 Wohnungen und damit 43.700 oder 16,8 Prozent weniger als im Jahr davor, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Es war das dritte Minus in Folge, wobei sich der Rückgang im zweiten Halbjahr 2024 verlangsamte. “Diese Entwicklung steht in einem krassen Gegensatz zu der Wohnungsnot, die weiter in den Großstädten beklagt wird”, sagte Cyrus de la Rubia, Chefökonom der HCOB Bank. “Es überrascht, dass dieses Thema im Wahlkampf kaum beachtet wurde.”
Baubranche und Politik reagierten mit ihrem üblichen Mantra der vergangenen Monate: Die Bundesregierung erklärte, Förderprogramme von Bund und Ländern hätten den Wohnungsbau stabilisiert. Die Bau-Lobby hingegen kritisierte dies als nicht ausreichend und forderte mehr Hilfen und Entlastungen. “Der Wohnungsbau muss endlich zur Chefsache werden”, sagte Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa vom Bauverband ZDB. 2021 habe es noch rund 380.000 Baugenehmigungen gegeben. “Der dramatische Einbruch in den letzten Jahren ist also eklatant, steht in krassem Widerspruch zum tatsächlichen Bedarf an Wohnraum, insbesondere an bezahlbarem Wohnraum, und lässt die Ziele der Bundesregierung in weite Ferne rücken.”
“ATTACKE WOHNUNGSBAU” – LOBBY MAHNT POLITIK ZUM HANDELN
Die Bundesregierung hatte ursprünglich den Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr angepeilt. 2023 waren es aber nur rund 294.000 und Experten erwarten auch für 2024 einen deutlichen Rückgang – veröffentlicht wird diese Zahl erst im Mai. Im laufenden Jahr rechnet der ZDB nur noch mit dem Fertigstellen von 225.000 bis 230.000 Wohneinheiten. Die Politik müsse Maßnahmen für schnelleres und einfacheres Bauen umsetzen, die 16 Landesbauordnungen vereinheitlichen und dürfe energetische Auflagen nicht weiter verschärfen, forderte ZDB-Experte Pakleppa. “Die neue Regierung hat nicht viel Zeit”, mahnte auch Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB). “Attacke Wohnungsbau – denn das ist Sozialpolitik.”
Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) forderte ein “ambitioniertes Zinsförderprogramm, das Investitionen wieder wirtschaftlich tragfähig macht”.
Das Bundesbauministerium erklärte, der Wohnungsbau mache gerade eine “schwere Zeit” durch. Aber es gehe aufwärts. “Wir erwarten in diesem Jahr die Trendwende.” Die Zinsen für Wohnungsbaukredite seien gesunken, der Anstieg der Baukosten habe sich verlangsamt und die Auftragslage am Bau ziehe an. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte vor kurzem gesagt: “Wir müssen vor allem preiswerter und schneller werden.”
Bremse für mehr Bauaktivität seien hohe Materialkosten, hohe Standards und viel Bürokratie, erläuterte Bank-Analyst De la Rubia. “Bis wirklich wieder Dynamik in den Wohnungsbausektor hereinkommt, wird es noch dauern.”
Im vorigen Jahr wurden 172.100 Neubauwohnungen genehmigt – und damit 41.500 oder 19,4 Prozent weniger als 2023. Die Statistikdaten enthalten auch die Genehmigungen für Wohnungen in bestehenden Gebäuden.
Bei der Krise im Wohnungsbau ist vorerst keine Besserung abzusehen. Die sogenannten Immobilienweisen hatten in ihrem Frühjahrsgutachten jüngst düstere Prognosen vorgelegt. Demnach dürfte die Zahl der Genehmigungen für dieses Jahr nur bei etwa 210.000 liegen – dies wäre gegenüber 2023 ein Einbruch um 45 Prozent. Die Baugenehmigungen von heute gelten als Frühindikator für die Neubauten von morgen. “Wir müssen jetzt durch ein Tal der Tränen durch”, sagte Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vorige Woche bei der Vorlage des Gutachtens des Branchenverbands ZIA. “Wir haben eine riesige Lücke zwischen dem, was gebaut werden müsste und dem, was aktuell gebaut wird und in den nächsten Jahren auf den Markt kommt.”
Bei Einfamilienhäusern gab es im vorigen Jahr laut Statistikamt einen Rückgang der Baugenehmigungen um 20,3 Prozent auf 37.900. Bei Zweifamilienhäusern wurde ein Minus von 11,3 Prozent auf 12.700 Wohnungen registriert. Rund zwei Drittel der 2024 genehmigten Neubauwohnungen in Deutschland entstehen in Mehrfamilienhäusern. Hier lag die Zahl der Genehmigungen zum Vorjahr um 19,7 Prozent niedriger bei 114.200.
(Bericht von Klaus Lauer; redigiert von Kerstin Dörr – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)