– von Olena Harmash
Kiew (Reuters) – Nach den umstrittenen Gesprächen zwischen Russland und den USA verschärft sich der Ton zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und US-Präsident Donald Trump.
Trump warf Selenskyj am Mittwoch vor, Wahlen abzulehnen und damit ein Diktator zu sein. Selenskyj hatte zuvor in deutlichen Worten Behauptungen Trumps zurückgewiesen, die Ukraine habe eine Mitschuld an dem russischen Angriffskrieg und hätte schon längst verhandeln sollen. Trump befinde sich in einer russischen Desinformationsblase, sagte Selenskyj.
Der ukrainische Präsident trat auch Äußerungen Trumps entgegen, er habe in der Bevölkerung nur geringe Zustimmungswerte von vier Prozent. Die Ukraine habe Belege, dass diese Zahlen zwischen den USA und Russland diskutiert worden seien. “Das heißt, Präsident Trump … lebt leider in diesem Raum der Desinformation”, sagte Selenskyj. Lob bekam Trump hingegen vom russischen Außenminister Sergej Lawrow für seine Äußerung, dass die frühere US-Unterstützung für den Antrag der Ukraine auf einen Nato-Beitritt eine Hauptursache des Kriegs sei.
Trump schrieb auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social: “Ich liebe die Ukraine, aber Selenskyj hat einen fürchterlichen Job gemacht, sein Land ist zerstört und Millionen sind sinnlos gestorben.” Selenskyj müsse schnell handeln, “sonst wird er kein Land mehr übrig haben”. In der Zwischenzeit seien die USA dabei, mit Russland erfolgreich ein Ende des Kriegs zu verhandeln.
SELENSKYJ ZU SELTENEN ERDEN: KANN UKRAINE NICHT VERKAUFEN
Trump hatte am Dienstag Sorgen der Ukraine beiseitegewischt, sie könne von Friedensgesprächen mit Russland ausgeschlossen werden. Die Regierung in Kiew hätte viel früher Verhandlungen aufnehmen und vor Jahren ein Abkommen schließen sollen, sagte Trump. Mit Blick auf Selenskyj forderte Trump Neuwahlen, da der Präsident nur noch vier Prozent Zustimmung in der Bevölkerung genieße. Woher diese Zahl stammte, blieb zunächst unklar. Umfragen zeigen ein anderes Bild. Demnach stehen gut 50 Prozent der Ukrainer hinter Selenskyj. Er ist seit 2019 im Amt, im vorigen Jahr standen Wahlen an, die aber wegen des Kriegs ausgesetzt wurden.
Er würde sich wünschen, dass Trumps Team “mehr Wahrheit” über die Ukraine erfahre, sagte Selenskyj vor einem Treffen mit Trumps Ukraine-Beauftragten Keith Kellogg. Jeder Versuch, ihn zu ersetzen, würde scheitern. Selenskyj rechnete zudem vor, dass die USA der Ukraine Waffen im Wert von 67 Milliarden Dollar und Haushaltshilfen in Höhe von 31,5 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt hätten. Demgegenüber seien US-Rohstoff-Forderungen nach Seltenen Erden im Wert von 500 Milliarden Dollar “keine ernsthafte Unterhaltung” wert. Er könne sein Land nicht verkaufen. Kellogg sagte bei seiner Ankunft in Kiew, er erwarte substanzielle Gespräche, da sich der Krieg der Dreijahresmarke nähere. “Wir verstehen die Notwendigkeit von Sicherheitsgarantien”, sagte Kellogg.
Weniger als einen Monat nach seinem Amtsantritt hat Trump einen drastischen Kurswechsel in der US-Politik gegenüber der Ukraine und Russland vollzogen. Den Versuch seines Vorgängers Joe Biden, gemeinsam mit den westlichen Verbündeten, Russland wegen seines Einmarsches in der Ukraine zu isolieren, hat Trump mit einem Telefonat mit Putin und einem Treffen mit einer russischen Delegation am Dienstag in der saudiarabischen Hauptstadt Riad abrupt beendet. Die Ukraine und die Europäer waren dabei ausgeschlossen. Dies schürte unter den europäischen Staaten Verärgerung und die Sorge, Trump könnte über sie und die Ukraine hinweg ein Friedensabkommen mit Putin schließen, das die Sicherheit auf dem Kontinent gefährden könnte.
FRANKREICH: VERSTEHEN TRUMPS LOGIK NICHT
In Europa sorgt der Kurswechsel von Trump seit Tagen für politische Unruhe. Die französische Regierung erklärte, sie verstehe die Logik von Trumps Äußerungen nicht, wonach die Ukraine an der russischen Invasion schuld sei. Präsident Emmanuel Macron sollte am Nachmittag erneut mit einigen europäischen Staats- und Regierungschefs und dem Nato-Verbündeten Kanada zu einem informellen Austausch über die Ukraine zusammenkommen. Bereits am Montag hatte er zu einem ähnlichen Treffen mit Großbritannien, Italien, Deutschland, Spanien, Dänemark, den Niederlanden und der EU-Kommission geladen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius rief die Europäer zu Geschlossenheit auf. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson mahnte: “Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren und die Ukraine weiterhin unterstützen.”
Trump kündigte an, er werde sich womöglich noch in diesem Monat mit Putin treffen. Der Kreml erklärte, dass die Vorbereitung eines solchen Treffens mehr Zeit in Anspruch nehmen könnte. Aber der russische Staatsfonds erwartet nach eigenen Angaben, dass eine Reihe von US-Unternehmen bereits im zweiten Quartal nach Russland zurückkehren. Putin sagte, er bewerte die amerikanisch-russischen Gespräche in Saudi-Arabien über die Beendigung des Krieges in der Ukraine sehr positiv. Ziel des Treffens sei es gewesen, das Vertrauen zwischen Russland und den USA zu verbessern. “Niemand schließt die Ukraine aus”, fügte Putin hinzu. Es gebe daher keinen Grund für eine “hysterische” Reaktion auf die Gespräche zwischen den USA und Russland.
(Bericht von Olena Harmash, Tom Balmforth, Anastasiia Malenko, Max Hunder, geschrieben von Chrisian Götz, redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)