– von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) – Führende Unions-Politiker haben sich offen für ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr noch mit den Stimmen des alten Bundestages gezeigt.
“Ich glaube, dass es gar kein schlechtes Signal wäre, wenn Deutschland … die Chance nutzt, ein international wuchtiges Signal zu senden was die eigene militärische Struktur betrifft”, sagte CSU-Chef Markus Söder am Dienstag in Berlin. “Der nächste Kanzler, der im Juni zum Nato-Gipfel nach Den Haag fährt, der muss ja belastbar darlegen können, zwei plus X Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung. Sonst brauchen wir … in Washington gar nicht mehr anzutreten”, mahnte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn gegenüber RTL/ntv.
Allerdings bremste CDU-Chef Friedrich Merz: “Wir sprechen miteinander, aber es ist viel zu früh, darüber jetzt schon etwas zu sagen. Ich sehe es im Augenblick als schwierig an.” Sowohl Merz als auch Söder schlossen eine Reform der Schuldenbremse noch vor der Konstituierung des neuen Bundestages aus.
Die Bundesbank wird ihrerseits einen Vorschlag zur Schuldenbremse vorlegen. Damit solle mehr Spielraum für Zukunftsaufgaben im Bereich Verteidigung oder Investitionen geschaffen werden, ohne die Stabilität anzugreifen, kündigte Bundesbankpräsident Joachim Nagel an. Der neue Vorschlag werde so angelegt sein, dass er auch für mögliche Sondervermögen angewendet werden könnte.
MERZ SPRICHT MIT KLINGBEIL UND SCHOLZ
Hintergrund der neuen Debatte ist, dass sowohl für eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse als auch für die Einrichtung eines neuen Sondervermögens eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig ist. Im neuen Bundestag verfügen AfD und Linke aber über eine Sperrminorität, die Linke hat bereits angekündigt, dass sie für eine Reform zugunsten von Investitionen vielleicht offen sei, nicht aber zugunsten von Verteidigungsausgaben. Deshalb hatten am Montag sowohl CDU-Chef Merz als auch Kanzler Olaf Scholz darauf verwiesen, dass der Bundestag in seiner alten Besetzung noch bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments Entscheidungen treffen könne. Merz hatte Gespräche mit SPD, Grünen und FDP zu diesem Punkt noch vor den Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten angekündigt.
Der neue Bundestag muss sich spätestens am 25. März konstituieren. Bereits 1998 hatte es eine solche Situation mit einer Entscheidung über einen Bundeswehreinsatz gegeben. Merz telefonierte am Montagabend mit SPD-Co-Chef Lars Klingbeil und traf sich mit Kanzler Scholz am Dienstag im Kanzleramt. Sollte es wirklich zu einem neuen Sondervermögen Bundeswehr kommen, könnte dies nach Angaben aus Unions- und SPD-Kreisen ein Volumen von mehreren hundert Milliarden Euro haben. CSU-Chef Söder wollte keine Zahl nennen.
Die Linken-Parteichefin Ines Schwerdtner nannte die Überlegungen, noch vom alten Bundestag die Militärausgaben erhöhen zu lassen, einen Skandal. “Grüne und SPD sind hier in der Verantwortung, die Schnellschüsse eines Friedrich Merz nicht zu unterstützen”, erklärte Schwerdtner. “Es wird für dieses erneute Sondervermögen zur Aufrüstung keine Stimmen der Linken geben.” Eine Reform der Schuldenbremse indes könne die Unterstützung ihrer Partei erhalten. “Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, massiv in Bildung, öffentliche Infrastruktur und eine gerechte Wirtschaft zu investieren.” Eine Möglichkeit könnte sein, dass die Union mit SPD und Grünen jetzt die Aufstockung des bestehenden Sondervermögen Bundeswehr beschließt, um sich dann in der kommenden Legislaturperiode an eine Reform der Schuldenbremse zu machen, bei der dann auch die Linken zustimmen müssten.
SCHNELLES UMDENKEN NACH DER BUNDESTAGSWAHL
Der CDU-Politiker Thorsten Frei wollte nicht ausschließen, dass angesichts “der hochdynamischen außenpolitischen Veränderungen” und einer steigenden Bedrohungslage “sehr schnell Entscheidungen ganz spezifisch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik notwendig” sein könnten. Auf die Nachfrage nach einem Sondervermögen fügte Frei hinzu: “Jedenfalls ist es aus meiner Sicht klar, dass es auf dieses Themenspektrum der Außen- und Sicherheitspolitik” begrenzt sein müsse.
Die Kehrtwende der Union ist bemerkenswert, weil sie entsprechende Forderungen von etwa SPD, Grünen und auch von CDU-Ministerpräsidenten zur Reform der Schuldenbremse im Wahlkampf noch kategorisch abgelehnt hatte. Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) hatte bereits im November schnelle Reformen mit dem Hinweis darauf gefordert, dass es im neuen Bundestag eine Blockademinorität gegen eine Reform geben könnte. CDU-Chef Merz betonte am Dienstag dagegen, dass er schon vor der Wahl keine Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen habe, er aber zunächst auf einen Kassensturz und Reformen bestehe.
Umgedacht wird auch bei der SPD: Bundesfinanzminister Jörg Kukies drängt nun auf rasche Gespräche über eine Grundgesetzänderung für neue Schulden, nachdem er sich am Montag noch skeptisch gezeigt hatte. Die Zeit bis zur Konstituierung des neuen Bundestags sei “denkbar knapp für ein solch komplexes Vorhaben”, sagte der SPD-Politiker dem “Stern”. Deshalb müssten die Fraktionen nun schnell die nötigen Gespräche aufnehmen. Grundsätzlich spreche aber nichts gegen ein Eilverfahren.
In der SPD und auch bei den Grünen wird dabei eher an eine Reform der Schuldenbremse statt eines neuen Sondervermögens favorisiert. Dort verweist man darauf, dass mit einem Sondervermögen zwar neue Waffen gekauft werden könnten, man aber auch die stark steigenden Personal- und Unterhaltskosten der Bundeswehr aus dem normalen Haushalt bewältigt müsse. “Für die auskömmliche Ausstattung der Bundeswehr ist eine Ausnahme von der Schuldenbremse praktisch unumgänglich”, sagte auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu “Bild”. Der Haushalt des Verteidigungsministeriums “wird sich durch notwendige Investitionen in den kommenden Jahren auf über 100 Milliarden Euro verdoppeln müssen. Wir reden über mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts”.
Die Grünen sind offen für eine Reform der Schuldenbremse noch durch den alten Bundestag. “Wir brauchen sie, wenn wir an Zukunft denken”, sagte die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann im Deutschlandfunk. “Wir brauchen dringend Zukunftsinvestitionen in innere, in äußere Sicherheit, in Klimaschutz und bei der Unterstützung der Wirtschaft.”
(Mitarbeit: Christian Krämer, Alexander Ratz, Reinhard Becker, Holger Hansen; redigiert von . Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)