– von Frank Siebelt und Reinhard Becker und Klaus Lauer
Frankfurt (Reuters) – Die Europäische Zentralbank (EZB) schreibt angesichts einer abebbenden Inflation und mauen Konjunktur ihren Lockerungskurs mit einer weiteren Zinssenkung um einen Viertelpunkt fort.
Zum weiteren Pfad äußerte sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag nach der Zinssitzung in Frankfurt aber vorsichtiger als noch zuletzt. “Hohe Unsicherheit, hierzulande und auch im Ausland” laste auf Investitionen und der Wettbewerbsfähigkeit, sagte Lagarde. Die EZB werde bei der Festlegung ihres weiteren Kurses datenabhängig vorgehen und von Sitzung zu Sitzung entscheiden.
Der Euro baute seine Kursgewinne aus und lag am späten Nachmittag 0,28 Prozent höher bei 1,082 Dollar. Die Renditen europäischer Staatsanleihen zogen leicht an.
Die EZB senkte den am Finanzmarkt maßgeblichen Einlagensatz auf nun 2,50 Prozent. Diesen Zins erhalten Finanzinstitute, wenn sie bei der Notenbank Gelder parken. Er ist der Leitzins im Euroraum. Seit die Währungshüter Mitte 2024 auf einen Lockerungskurs umgeschwenkt waren, ist dies bereits die sechste Zinssenkung.
Aus Sicht von Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank, ist der nächste Schritt schwer vorhersagbar. “Eine Zinspause im April erscheint ähnlich wahrscheinlich wie eine Fortsetzung der Zinssenkungen. Der Ausgang ist also völlig offen”, sagte er. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht das ähnlich: “Alles in allem hat die EZB heute den Autopiloten abgeschaltet.” Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und ehemaliger EZB-Direktor, erwartet “bei bisheriger Datenlage noch zwei weitere Zinssenkungen in der ersten Jahreshälfte” und dass es noch bis auf 2,0 Prozent gehen könnte.
Die Geldpolitik sei inzwischen spürbar weniger restriktiv, erklärte die EZB. “Denn unsere Zinssenkungen machen neue Kredite günstiger, und das Kreditwachstum zieht an,” sagte Lagarde. Ein Zinsniveau gilt dann als restriktiv, wenn es eine Volkswirtschaft bremst.
Laut Lagarde traf der EZB-Rat seine Beschlüsse im Konsens. “Niemand hat sich dagegengestellt”, sagte sie. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann habe sich enthalten.
Die Wirtschaft im Euroraum sei konjunkturell eher verhalten ins Jahr gestartet, sagte die EZB-Chefin. In den ersten beiden Monaten bleibe die Industrie wohl eine Wachstumsbremse, auch wenn Frühindikatoren auf eine Verbesserung hindeuteten. Die Notenbank-Volkswirte schraubten in ihren neuen Projektionen die Wachstumserwartungen für dieses Jahr zurück. Die Inflation sehen sie 2025 noch etwas stärker steigen als zuletzt.
ANHALTENDE KONJUNKTURFLAUTE
Die Teuerung im Euroraum war im Februar auf 2,4 Prozent gesunken, nach 2,5 Prozent im Januar. EZB-Ziel ist eine Teuerungsrate von 2,0 Prozent, die damit näher rückt. Doch die anhaltend trübe Konjunktur bereitet Sorgen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Währungsraum legte von Oktober bis Dezember um magere 0,1 Prozent zum Vorquartal zu, nachdem im Sommerquartal noch ein Wachstum von 0,4 Prozent erreicht worden war. Ein Bremsklotz ist die anhaltende Wachstumsschwäche Deutschlands, der größten Volkswirtschaft im Euroraum.
Das milliardenschwere Finanzpaket von Union und SPD für Infrastruktur und Verteidigung kann zusammen mit dem EU-Plan zur Wiederaufrüstung Europas “das europäische Wachstum insgesamt unterstützen und die europäische Wirtschaft ankurbeln”, sagte Lagarde. Die genauen Folgen seien jedoch noch nicht abschätzbar. “Dies ist ein laufender Prozess.” Union und SPD hatten sich am Dienstagabend auf ein Sondervermögen für die Infrastruktur von 500 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre verständigt. Außerdem sollen alle Rüstungsausgaben über ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht mehr unter die geltenden Schuldenregeln fallen.
Notenbank-Direktorin Isabel Schnabel hatte unlängst dafür plädiert, über eine Pause oder einen Stopp des Zinssenkungskurses nachzudenken. Volkswirte der EZB hatten in einem Aufsatz das neutrale Zinsniveau, das die Wirtschaft weder bremst noch anheizt, in einer Spanne zwischen 1,75 und 2,25 Prozent verortet. Dieses Niveau rückt nun immer näher.
(Mitarbeit von Rene Wagner; Redigiert von; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)