Palästinenser: Hunderte Tote bei israelischen Angriffen im Gazastreifen

– von Nidal al-Mughrabi und Enas Alashray und James Mackenzie

Kairo/Jerusalem (Reuters) – Zwei Monate nach Beginn der Waffenruhe im Gazastreifen haben schwere israelische Luftangriffe die Hoffnungen auf eine baldige Friedenslösung vorerst zunichtegemacht.

Israel nahm in der Nacht zu Dienstag wieder seine Angriffe auf. Mehr als 400 Menschen wurden dabei in dem vom monatelangen Krieg gezeichneten Küstenstreifen getötet, wie palästinensische Gesundheitsbehörden mitteilten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, er habe “entschiedene Maßnahmen” gegen die Hamas angeordnet, weil die radikal-islamische Palästinenser-Organisation die Freilassung der noch in ihrer Gewalt befindlichen 59 Geiseln verweigere. Die Hamas warf Israel vor, die Waffenruhe zu brechen und die Vermittlungsbemühungen für eine dauerhafte Friedenslösung zu gefährden.

Unter den Todesopfern sind nach Angaben der im Gazastreifen herrschenden Hamas einige hochrangige Funktionäre der Organisation und Familienangehörige. Darunter seien der faktische Hamas-Regierungschef Essam Addalis, Vize-Justizminister Ahmed Al-Hetta und der stellvertretende Innenminister und Leiter der Sicherheitsdienste, Mahmud Abu Watfa. Zudem sei das ranghohe Hamas-Politbüromitglied Mohammed Al-Dschmasi tot. Auch ein führendes Mitglied der Extremisten-Gruppe Islamischer Dschihad wurde getötet, wie aus dem Umfeld der mit der Hamas verbündeten Palästinenser-Gruppe verlautete. Dabei handele es sich um Nadschi Abu Saif, besser bekannt als Abu Hamsa, den Sprecher der Miliz des Islamischen Dschihads.

“DER KRIEG IST WIEDER DA”

“Es war eine Nacht der Hölle”, teilte die 65-jährige Rabiha Dschamal aus Gaza-Stadt der Nachrichtenagentur Reuters über einen Kurznachrichten-Chat mit. “Wir dachten, es wäre vorbei, aber der Krieg ist wieder da.” Nach Angaben der Palästinenser-Behörden wurden auch mehr als 560 Menschen verletzt. In den von 15 Monaten Krieg stark beschädigten Krankenhäusern stapelten sich Leichen, die in weiße, blutverschmierte Plastikplanen eingehüllt waren.

Das israelische Militär bezeichnete seine neuen Angriffe als “Präventivoffensive”. Damit solle die Hamas daran gehindert werden, Angriffe auf Israel zu verüben und ihre Kampfeinheiten wiederaufzubauen und aufzurüsten. Der Einsatz richte sich gegen “militärische Befehlshaber mittleren Ranges, Führungsvertreter und terroristische Infrastruktur” der Hamas. Das US-Präsidialamt erklärte, Israel habe sich vor den nächtlichen Angriffen mit der US-Regierung beraten. “Die Hamas hätte Geiseln freilassen können, um die Waffenruhe zu verlängern, entschied sich jedoch stattdessen für die Weigerung und den Krieg”, sagte ein US-Regierungssprecher.

Die Waffenruhe war am 19. Januar in Kraft getreten, die erste Phase endete nach sechs Wochen. Weil sich Israel und die Hamas über den weiteren Verlauf der Waffenruhe nicht einigen konnten, sollte sie eigentlich auf Vorschlag der Vermittler für die Dauer der muslimischen Fastenzeit Ramadan und des jüdischen Pessach-Festes und damit bis mindestens zum 20. April verlängert werden.

Der rechtsextreme Ex-Minister Itamar Ben-Gwir kehrt Parteiangaben zufolge nach der Wiederaufnahme der massiven Angriffe auf den Gazastreifen ins israelische Kabinett zurück. Ben-Gwir, der Minister für Nationale Sicherheit war, hatte die Regierung von Netanjahu im Januar im Streit über die Waffenruhe verlassen. Ben-Gwir hat die Waffenruhe stets strikt abgelehnt und die Vernichtung der Hamas gefordert.

Die Luftangriffe trafen Häuser und Flüchtlingssiedlungen vom Norden bis zum Süden des Gazastreifens. Israelische Panzer beschossen über die Grenze hinweg den Osten und Süden des Gebiets, in dem seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 bis zur Waffenruhe-Vereinbarung am 19. Januar bereits Krieg herrschte. Bei dem Überfall der Hamas auf israelische Siedlungen waren rund 1200 Menschen getötet und 251 weitere in den Gazastreifen verschleppt worden. Israel reagierte mit einem Angriff auf das Küstengebiet, bei dem nach Palästinenser-Angaben mehr als 48.000 Menschen getötet wurden.

(Mitarbeit: Reuters-Büros in Washington, Genf und Dubai, geschrieben von Elke Ahlswede und Christian Götz; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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