Moskau/Kiew/Helsinki (Reuters) – Russland und die Ukraine haben einander am Mittwoch Angriffe auf die Infrastruktur vorgeworfen – nur wenige Stunden nach der Vereinbarung, den Beschuss von Energieanlagen für 30 Tage auszusetzen.
Das Präsidialamt in Moskau erklärte, die Ukraine sei nicht willens, die Waffenruhe umzusetzen. “Heute hat Putin den Vorschlag für eine vollständige Waffenruhe de facto abgelehnt”, schrieb dagegen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Telegram. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich am Dienstag in einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump bereiterklärt, die Angriffe auf ukrainische Energieanlagen vorübergehend einzustellen. Eine vollständige 30-tägige Waffenruhe, die Selenskyj bereits akzeptiert hatte, lehnte Putin hingegen ab. Selenskyj unterstützte darauf die teilweise Waffenruhe, die lediglich Energieanlagen betrifft. Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete die Vereinbarung aus dem Telefonat von Trump und Putin als wenig hilfreich und “Nullnummer”.
Selenskyj, der sich zu Beratungen mit dem finnischen Präsidenten Alexander Stubb in Helsinki aufhielt, forderte die USA auf, eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine zu überwachen. Dabei sollten sie sich auf die Energieanlagen konzentrieren. Er werde noch im Laufe des Tages mit Trump telefonieren. Russische Angriffe in der Nacht auf die Ukraine hätten die Energieversorgung, den Verkehr und die zivile Infrastruktur beeinträchtigt, sagte Selenskyj. “Wenn die Russen unsere Einrichtungen nicht angreifen, werden wir ganz sicher nicht ihre angreifen.”
Russland habe mit 145 Drohnen angegriffen, teilte das ukrainische Militär auf Telegram mit. Davon seien 72 Drohnen abgeschossen worden, 56 Drohnen seien von der elektronischen Luftabwehr abgefangen worden. “Der russische Angriff betraf die Regionen Sumy, Odessa, Poltawa, Dnipropetrowsk, Kiew und Tschernihiw.” Die Behörden in Sumy im Nordosten der Ukraine erklärten, durch die russischen Drohnenangriffe seien zwei Krankenhäuser beschädigt worden. In der Region Kiew rund um die ukrainische Hauptstadt sei ein 60-jähriger Mann bei einem russischen Drohnenangriff verletzt worden, sagte Gouverneur Mykola Kalaschnyk. Mehrere Häuser seien beschädigt worden.
RUSSLAND WIRFT UKRAINE ANGRIFF AUF ÖLDEPOT VOR
Russland hat nach eigenen Angaben nach dem Telefonat zwischen Putin und Trump einen bereits angeordneten Drohnenangriff auf die ukrainische Energieinfrastruktur gestoppt. Das Militär habe sieben seiner eigenen Drohnen abgefangen, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Er warf der Ukraine vor, das Moratorium von Angriffen auf die Energieanlagen nicht zu respektieren. Die Ukraine habe in der Nacht versucht, russische Energieanlagen anzugreifen.
Das russische Militär hat laut Verteidigungsministerium in der Nacht 57 ukrainische Drohnen über mehreren Oblasten abgefangen. 35 Drohnen seien von der Luftabwehr über Kursk abgeschossen worden, das an die Ukraine grenzt. Die übrigen Drohnen seien über Brjansk an der Grenze, Orjol in Zentralrussland, Tula südlich von Moskau und über dem Asowschen Meer zerstört worden. Die Behörden in der südrussischen Oblast Krasnodar erklärten, ein ukrainischer Drohnenangriff habe einen kleinen Brand in einem Öldepot ausgelöst. “Die Arbeiten in der Anlage wurden eingestellt.” Die Ölpumpstation Kropotkinskaja in Südrussland sei beschädigt worden und ausgefallen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.
PISTORIUS: “DAS IST EINE NULLNUMMER”
Bundesverteidigungsminister Pistorius bezeichnete die Vereinbarung zwischen Putin und Trump als wenig hilfreich. “Das ist eigentlich nichts”, sagte der SPD-Politiker im ZDF, denn es würde ausgerechnet die Infrastruktur weniger angegriffen, die in der Ukraine am besten geschützt sei. “Das ist eine Nullnummer.” Man habe zudem gesehen, “dass die Angriffe auf die zivile Infrastruktur in der ersten Nacht nach diesem angeblich richtungsweisenden großartigen Telefonat eben nicht nachgelassen haben”, sagte Pistorius. “Putin spielt hier ein Spiel, und ich bin sicher, dass der amerikanische Präsident da nicht lange wird zusehen können.”
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte, Putin sei offenkundig nicht zu Zugeständnissen bereit. Russland sei nicht vertrauenswürdig, sagte sie mit Blick auf die Vereinbarung zwischen Putin und Trump. “Wenn man die beiden Protokolle des Telefonats liest, wird klar, dass Russland eigentlich keinerlei Zugeständnisse machen will.”
Die Ukraine hat dem finnischen Präsidenten Stubb zufolge das unbestrittene Recht sich selbst und mit Unterstützung ihrer Partner zu verteidigen. “Die Ukraine ist europäisch”, sagte er. “Hoffentlich sind wir bald in der EU und in der Nato vereint.” Russland müsse erst noch zeigen, dass es einen echten Frieden wolle. Notfalls müsse der Druck auf Russland erhöht werden, um es an den Verhandlungstisch zu bringen.
(Bericht von: Pawel Polityuk, Dmitry Antonow, Sabine Ehrhardt, Yuliia Dysa, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)