Über 90 Tote bei Israels Angriffen im Gazastreifen – Hamas feuert Raketen

Gaza-Stadt/Kairo (Reuters) – Israel hat seine neue Offensive gegen die radikal-islamische Palästinenser-Organisation Hamas im Gazastreifen mit Luftangriffen und Bodentruppen verstärkt.

Mindestens 91 Menschen seien allein am Donnerstag getötet und über 130 verletzt worden, teilte die Gaza-Gesundheitsbehörde mit. Sanitäter berichteten, dass im Norden und Süden etliche Häuser zerstört worden seien. Einen Tag nach Beginn seiner Bodenoffensive im Zentrum des Gazastreifens teilte das israelische Militär mit, Bodentruppen seien nun auch im Norden entlang der Küstenroute um Beit Lahia im Einsatz. Die Hamas reagierte erstmals und feuerte nach eigenen Angaben Raketen auf Tel Aviv. Das israelische Militär erklärte, es habe ein Geschoss aus dem Gazastreifen abgefangen. Zwei weitere seien auf offenem Gelände niedergegangen.

Das israelische Militär hatte in der Nacht zu Dienstag seine Luftangriffe wieder aufgenommen und damit die seit dem 19. Januar geltende Waffenruhe mit der Hamas de facto aufgekündigt. Allein am Dienstag wurden nach palästinensischen Angaben mehr als 400 Menschen getötet – das ist eine der höchsten Opferzahlen an einem Tag im gesamten Krieg. In den vergangenen drei Tagen seien rund 530 Palästinenser ums Leben gekommen, mehr als die Hälfte von ihnen Frauen und Kinder, sagte ein Vertreter der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde.

Das israelische Militär will nach eigenen Angaben eine Pufferzone zwischen dem nördlichen und südlichen Teil des Gazastreifens ausweiten, den sogenannten Netzarim-Korridor. Es forderte die Einwohner auf, die Salahuddin-Straße, die wichtigste Nord-Süd-Verbindung, zu meiden und sich stattdessen entlang der Küste fortzubewegen. Durch die Luftangriffe ist die Bevölkerung erneut gezwungen, aus den Gebieten zu fliehen, in die sie nach Beginn der Waffenruhe zurückgekehrt war und wo sie in den Trümmern mit dem Wiederaufbau begonnen hatte. Einige Palästinenser, die versuchten, die Salahuddin-Straße zu benutzen, berichteten, sie hätten gesehen, wie Autos von israelischen Truppen unter Beschuss genommen wurden.

HAMAS-FÜHRUNG WEITER GESCHWÄCHT

Bei den Angriffen in dieser Woche wurden einige Führungsvertreter der Hamas getötet, darunter der De-facto-Regierungschef des Gazastreifens, der Chef des Sicherheitsdienstes, sein Berater und der stellvertretende Leiter des Justizministeriums. Dies ist ein schwerer Schlag für die ohnehin geschwächte Palästinenser-Organisation, die ihre Verwaltung im Gazastreifen wieder aufbauen wollte. Die Hamas ist entgegen des erklärten Ziels der israelischen Regierung nicht besiegt.

Israel hatte gedroht, die wiederaufgenommene Offensive sei erst der Anfang. Die Hamas hat die Bodenoffensive und den Einmarsch in den Netzarim-Korridor als “neuen und gefährlichen Verstoß” gegen das zwei Monate alte Abkommen über eine Waffenruhe bezeichnet. Sie bekräftigte ihre Unterstützung dieser Vereinbarung und forderte die Vermittler auf, “ihrer Verantwortung gerecht zu werden”. Die Al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Teil der Hamas, erklärte, ihr Angriff auf Tel Aviv sei eine Reaktion auf “die zionistischen Massaker an Zivilisten”.

Die erste Phase der Waffenruhe war am 19. Januar in Kraft getreten und endete nach sechs Wochen. Sie wurde für die Dauer von Ramadan und Pessach verlängert, die Ende März beziehungsweise am 20. April enden. Eigentlich sollte während der ersten die zweite Phase der Waffenruhe ausgehandelt werden. Deren Ziel sind die Freilassung der verbliebenen Geiseln aus der Gewalt der Hamas sowie der Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen. Am Ende soll der Frieden in dem weitgehend zerstörten Küstenstreifen stehen. Eine Einigung wurde nicht erzielt. Stattdessen hat Israel nur eine vorübergehende Verlängerung der Waffenruhe angeboten, die gesamte Versorgung des Gazastreifens eingestellt und erklärt, es nehme seinen Militäreinsatz wieder auf, um die Hamas zur Freilassung der verbliebenen Geiseln zu zwingen.

Auslöser des Krieges im Gazastreifen ist der überraschende Überfall der Hamas und des mit ihr verbündeten Islamischen Dschihads am 7. Oktober 2023 auf den Süden Israels. Dabei wurden nach israelischen Angaben 1200 Menschen getötet und etwa 250 Menschen in den Gazastreifen verschleppt. Das israelische Militär reagierte umgehend mit einer großangelegten Offensive. Beim Beschuss des Gazastreifens wurden nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde mehr als 49.000 Menschen getötet.

(Bericht von: Nidal al-Mughrabi; geschrieben von Sabine Ehrhardt, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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