– von Elizabeth Pineau und Juliette Jabkhiro
Paris (Reuters) – Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen ist in einem Betrugsprozess schuldig gesprochen worden und darf dem Urteil zufolge bei der nächsten Präsidentschaftswahl nicht antreten.
Das Gericht in Paris urteilte am Montag, dass Le Pen mit sofortiger Wirkung für fünf Jahre von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wird. Damit kann die 56-Jährige nicht als Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2027 antreten, sofern das Urteil rechtskräftig wird. Zudem erhielt Le Pen eine Haftstrafe von vier Jahren, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt sind und zwei unter Hausarrest verbüßt werden müssen, sowie eine Geldstrafe von 100.000 Euro.
Le Pens Anwalt Rodolphe Bosselut kündigte kurz nach dem Richterspruch an, Berufung gegen das Urteil einzulegen. Weder die Haftstrafe noch die Geldstrafe würden vollstreckt, bis die Rechtsmittel erschöpft seien. Aber das fünfjährige Verbot, für ein Amt zu kandidieren, tritt sofort in Kraft – über eine sogenannte “vorläufige Vollstreckung”, die von der Staatsanwaltschaft beantragt wurde. Ihr Parlamentsmandat behält Le Pen bis zum Ende der Legislaturperiode. Berufungsverfahren in Frankreich können Monate oder sogar Jahre dauern.
Die Vorsitzende der Partei Rassemblement National (RN), acht ehemalige EU-Abgeordnete und zwölf parlamentarische Assistenten wurden von dem Gericht schuldig gesprochen, mehr als vier Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Parlaments veruntreut zu haben, um Mitarbeiter der Partei in Frankreich zu bezahlen. Richterin Benedicte de Perthuis sagte, Le Pen habe “im Zentrum” des Systems gestanden. Die Angeklagten haben die Vorwürfe zurückgewiesen.
BARDELLA ALS NEUER KANDIDAT?
In Umfragen zur Präsidentschaftswahl lag Le Pen zuletzt vorne. Sie hat bereits dreimal für das Präsidentenamt kandidiert und erklärt, 2027 werde ihr letzter Anlauf sein. Der Politikwissenschaftler Arnaud Benedetti, der ein Buch über den RN geschrieben hat, sagte, das Urteil sei ein Wendepunkt in der französischen Politik, der sich auf alle Parteien und die Wählerschaft auswirken werde. “Dies ist ein politisches Erdbeben”, sagte er. “Es wird unweigerlich zu einer Neuordnung führen, insbesondere im rechten Lager.”
RN-Chef Jordan Bardella, der 29-jährige Vertraute Le Pens, dürfte nun der De-facto-Kandidat der Partei für die Wahl 2027 werden. Benedetti sagte: “Ich bin nicht sicher, ob Jordan Bardellas politisches Angebot ausgereift genug ist, um bei der Präsidentschaftswahl glaubwürdig konkurrieren zu können.”
RN-CHEF: “FRANZÖSISCHE DEMOKRATIE GETÖTET”
Bardella selbst erklärte nach dem Urteil: “Heute wurde nicht nur Marine Le Pen zu Unrecht verurteilt: Die französische Demokratie wurde getötet.” Kritik kam auch von Eric Zemmour, Chef der rechtsextremen Partei Reconquete: “Es ist nicht Sache der Richter zu entscheiden, für wen das Volk stimmen muss”, sagte er. “Ungeachtet unserer Meinungsverschiedenheiten ist Marine Le Pen legitimiert, sich zur Wahl zu stellen.” Eric Ciotti, ehemals Chef der Mitte-Rechts-Partei Les Republicans, empörte sich über “ein System zur Machtergreifung, das systematisch jeden Kandidaten beiseite wirft, der zu weit rechts steht und eine Chance hat zu gewinnen”.
Ciotti und die Republikaner hatten sich im vergangenen Jahr im Streit getrennt, nachdem er für ein Bündnis mit dem RN geworben hatte. Jean-Luc Melenchon von der linksextremen Partei La France Insoumise, erklärte, er würde Le Pen lieber an der Wahlurne besiegen.
Der rechtsnationale ungarische Ministerpräsident Viktor Orban erklärte sich solidarisch mit Le Pen. “Ich bin Marine”, erklärte er. Der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini sprach von einer “Kriegserklärung” und skandierte: “Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir hören nicht auf: Volle Kraft voraus, meine Freundin!” Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte: “In der Tat schlagen immer mehr europäische Hauptstädte den Weg ein, demokratische Normen mit Füßen zu treten.”
Die Bundesregierung verwies auf eine interne Angelegenheit Frankreichs und wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Urteil äußern. Grünen-Co-Parteichef Felix Banaszak begrüßte die Entscheidung. Le Pen und ihr Umfeld hätten sich offensichtlich “an öffentlichen Mittel bereichert”. Das Urteil sei “ein gutes Zeichen dafür, dass unser Rechtsstaat funktioniert”, sagte Banaszak in Berlin. Die rechtspopulistische AfD äußerte sich zunächst nicht zu der Verurteilung.
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