Börsenabsturz überschattet Koalitionsverhandlungen

– von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) – Der Absturz von Aktienkursen an weltweiten Börsenplätzen hat in Deutschland eine heftige Diskussion über die nötigen politischen Konsequenzen ausgelöst.

“Die Lage an den internationalen Aktien- und Anleihemärkten ist dramatisch und droht sich weiter zuzuspitzen”, sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. Er forderte eine Konzentration der laufenden Koalitionsverhandlungen von Union und SPD auf Wettbewerbsfähigkeit. Während die Linke gegenüber Reuters eine Digitalsteuer für US-Konzerne forderte, pochte AfD-Chef Alice Weidel auf eine Verhandlungslösung mit Washington. Der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der Union, Dennis Radtke, verlangte im Gespräch mit Reuters eine Festschreibung des Rentenniveaus. Das BSW wiederum forderte als Konsequenz die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland.

Kanzler Olaf Scholz beriet nach Informationen von Reuters mit den vier Parteichefs von CDU, CSU und SPD am Mittag im Kanzleramt, wie Deutschland und die EU auf die US-Zölle reagieren sollen. Dafür wurden die Koalitionsverhandlungen unterbrochen. Der Dax war am Montag zu Handelsbeginn um zehn Prozent eingebrochen, begrenzte aber im Verlauf des Tages seine Verluste.

EINIGUNG BEI KOALITION BIS ENDE DER WOCHE ANGESTREBT

Es sei “dringlicher denn je, dass Deutschland so schnell wie möglich seine internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellt”, sagte der designierte Kanzler Merz zu Reuters. “Diese Frage muss jetzt im Zentrum der Koalitionsverhandlungen stehen. Wir brauchen Steuersenkungen für Unternehmen und Bürger, einen spürbaren Rückbau der lähmenden Bürokratie, die Senkung der Energiepreise und eine Stabilisierung der Kosten für die sozialen Sicherungssysteme.” CDA-Chef Radtke pochte dagegen auf eine Stärkung der gesetzlichen Rente. “Wir müssen perspektivisch die gesetzliche Rentenversicherung stärken. Dafür muss das Rentenniveau gesichert werden”, schloss sich Radtke einer Forderung der SPD in den Koalitionsverhandlungen an.

CDU, CSU und SPD hatten ihre Koalitionsgespräche am Montagmorgen zunächst fortgesetzt. Sie streben eine Einigung noch in dieser Woche an. Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger pochte mit Blick auf die US-Politik und die Börsenentwicklung auf eine schnelle Einigung. “Ich habe es verfolgt und es macht deutlich, dass wir schnell zum Ende kommen müssen”, sagte die SPD-Politikerin.

“Ich bin sehr zuversichtlich, dass es gelingen könnte, in dieser Woche fertig zu werden”, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Sie mahnte mit Blick auf die Union erneut, dass alles, was man Bürgern verspreche, auch finanzierbar sein müsse. Beide Politikerinnen gehören zur Gruppe der 19 Top-Verhandler, zu denen auch die Parteichefs und Generalsekretäre zählen.

Umstritten war in den Verhandlungen bis zuletzt, wieviel Geld wo im Bundeshaushalt eingespart werden kann. Zudem pocht die Union auf eine Senkung der Unternehmens- und Einkommenssteuer. Auch die SPD will eine Senkung der Steuern für kleinere und mittlere Einkommen, fordert zur Gegenfinanzierung aber eine höhere Besteuerung von Spitzenverdienern. Dies lehnt die Union ab.

CDA-Chef Radtke hatte als Konsequenz aus der Verhängung der US-Zölle bereits eine Digitalsteuer gegen US-Konzerne gefordert. “Die Einführung einer EU-Digitalsteuer von mindestens fünf Prozent wäre ein richtiger Schritt und eine mutige Antwort auf die Trump-Zölle”, sagte nun auch Linken-Co-Chefin Ines Schwerdtner zu Reuters. “Mit einer Digitalsteuer von fünf Prozent könnte die EU pro Jahr mehr als 37 Milliarden Euro einnehmen und damit europaweit den Bau von Schulen, Krankenhäusern und bezahlbaren Wohnraum fördern.”

AfD-Co-Chefin Weidel warnte dagegen vor Gegenmaßnahmen. “Zölle sind grundsätzlich Gift für den freien Handel”, sagte Weidel zu Reuters. “Aber letztendlich geht es nicht darum, ob die Zölle nachvollziehbar oder gerechtfertigt sind, es geht darum, sie möglichst zu verhindern”, fügte sie hinzu. Die BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht sprach sich gegenüber der Nachrichtenplattform t-online für eine strategische Neuausrichtung Deutschlands aus. Die Bundesregierung müsse die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Brics-Staaten vertiefen, zu denen auch Russland und China gehören. Außerdem müsse sie sich aus der “Digital- und Energieabhängigkeit” von den USA befreien und “Pipelinegas auch wieder aus Russland beziehen”, sagte Wagenknecht in Anspielung auf die Gaspipeline Nord Stream durch die Ostsee.

(redigiert von Christian Rüttger; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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