Spahn zweifelt an Mindestlohn von 15 Euro in 2026 – Klingbeil nicht

Berlin (Reuters) – Einen Tag nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags von Union und SPD zeigen sich erste Dissonanzen im künftigen Regierungslager.

Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn bezweifelte am Donnerstag, dass der Mindestlohn schon 2026 auf 15 Euro steigen kann. “Dass wir so viel Wachstum und Lohnentwicklung haben, dass es nächstes Jahr schon gelingt, ist unwahrscheinlich”, sagte der CDU-Politiker den TV-Sendern RTL und ntv. SPD-Chef Lars Klingbeil bekräftigte hingegen diese vereinbarte Perspektive. “Der Mindestlohn wird im Jahr 2026 auf die 15 Euro steigen, die wir haben wollen”, sagte er der ARD. Der Grund sei, dass sich die Tarifkommission an den europäischen Vorgaben orientieren werde.

Dies ist ein Beispiel dafür, dass verschiedene Passagen in dem am Mittwoch vorgelegten Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD von den künftigen Koalitionspartnern unterschiedlich ausgelegt werden. “Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar”, heißt es in dem Entwurf des Koalitionsvertrags, dem etwa die SPD-Mitglieder noch zustimmen müssen.

SPD-Co-Chefin Saskia Esken brachte zudem wieder eine Steuererhöhung für Spitzenverdiener ins Gespräch, obwohl diese im Koalitionsvertrag ausdrücklich nicht vorgesehen ist. Mit Blick auf die verabredete Prüfung einer Einkommenssteuersenkung Mitte der Legislaturperiode sagte sie im Deutschlandfunk: “Wir müssen es natürlich finanzieren.” Wenn eine Einkommensteuerreform “in sich aufkommensneutral sein soll, dann muss dazu auch bei den hohen Einkommen mehr geholt werden”, betonte sie. Dies sorgte für Verärgerung in CDU und CSU, weil beide Parteien jede Steuererhöhung strikt ablehnen.

CSU-Chef Markus Söder und SPD-Co-Chefin Esken lobten die gemeinsame Vereinbarung für eine gemeinsame Regierung – betonten aber unterschiedliche Punkte. Söder sprach im Deutschlandfunk von einer Befreiung für die deutsche Wirtschaft und lobte vor allem die künftige Möglichkeit, 30 Prozent der Investitionen steuerlich absetzen zu können. Der Koalitionsvertrag bringe nicht nur einen “Richtungswechsel in Sachen Migration, die die Situation grundlegend in die Zeit vor 2015 zurückversetzt mit Recht und Ordnung”, sagte Söder. Es gebe zudem eine Stärkung der Wirtschaft “in immensem Ausmaß”.

Diese Begeisterung bremsen allerdings die Wirtschaftsverbände. “Es gibt in der Tat Lichtblicke”, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Als Beispiele gelten der geplante Bürokratieabbau, “Superabschreibungen” auf Investitionen von Unternehmen, die geplanten Gelder zur Sanierung der Infrastruktur, Investitionen in Künstliche Intelligenz und die Digitalisierung. “Es gibt leider auch entscheidende Leerstellen.” Beispielsweise sei die langfristige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme schwierig. Das Finanzpaket werde zudem 2025 kaum Impulse bringen, sagte Experte Torsten Schmidt vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

Die verschiedenen Entlastungspläne im Koalitionsvertrag summieren sich laut einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) bei vollständiger Umsetzung auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr.

(Bericht: Andreas Rinke, Christian Krämer, Rene Wagner; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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