Berlin (Reuters) – Kurz vor Beginn des Mitgliederentscheids stellt die SPD-Linke den Koalitionsvertrag mit der Union infrage.
“Ich habe Pro-Argumente und Gegenargumente. Aber offen ist noch, wie ich dann das Kreuzchen mache”, sagte die SPD-Linke Wiebke Esdar, die auch Mitglied im SPD-Parteivorstand ist, am Montag im Deutschlandfunk. Sie halte es für legitim, dass sich die Jusos bereits gegen den Vertrag mit der Union ausgesprochen hätten. Esdar zeigte sich wie die Jusos verärgert darüber, dass ein Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde im Jahr 2026 von CDU-Parteichef Friedrich Merz infrage gestellt werde.
Nachdem am Wochenende bereits einige Juso-Landesverbände ein Nein zum Koalitionsvertrag angekündigt hatten, zog am Montag der Bundesverband nach: “Unser Votum lautet Ablehnung. Für die Zustimmung der Jusos bräuchte es deutliche Nachbesserungen”, sagte Juso-Chef Philipp Türmer den Sendern RTL/ntv. In Feldern wie Asyl und Migration sowie Arbeit und Soziales gehe der Vertrag den falschen Weg, sagte Türmer. Den Finanzierungsvorbehalt im Vertrag nannte der Juso-Chef “eine tickende Zeitbombe”.
Für Protest vor allem bei der SPD-Linken hatte die Aussage von Merz gesorgt, es gebe keinen Automatismus für den Anstieg auf 15 Euro. Im Koalitionsvertrag wird auf die Mindestlohn-Kommission aus Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaftlern verwiesen, die darüber alle zwei Jahre befindet. Im Vertrag heißt es aber auch: “Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.” Die Formulierung ist daher nicht eindeutig. SPD-Chef Lars Klingbeil sagte aber: “Der Mindestlohn wird im Jahr 2026 auf die 15 Euro steigen, die wir haben wollen”, sagte Klingbeil am Donnerstag.
Esdar sagte, sie gehe zwar davon aus, dass der Vertrag am Ende eine Mehrheit bekomme, aber: “Friedrich Merz macht es uns nicht leichter, und es wäre besser, wenn er das in den nächsten Tagen korrigieren, richtigstellen und vor allem nicht weiter anheizen würde.” Man müsse zwischen SPD und Union noch an einem gemeinsamen Geist arbeiten: “Das ist die Zielgerade, auf die wir jetzt noch einbiegen müssen. Und das ist das Miteinander, was wir noch entwickeln müssen. Deshalb ist das nicht ausreichend ausgeprägt.”
Der Vorsitzende des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Dirk Wiese, machte sich dagegen für den Vertrag stark: “Unter dem Strich ist es ein gut verhandelter Vertrag, der trotz des schlechten Wahlergebnisses viele unserer Forderungen widerspiegelt”, sagte der Fraktionsvize der “Rheinischen Post”. “Natürlich gibt es in einem Koalitionsvertrag immer Passagen, mit denen man selbst hadert. Auch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist nicht jeder Satz ein sozialdemokratisches Kernanliegen.” Dennoch habe man bei wichtigen Zukunftsfragen wie Investitionen geliefert.
Am Montagabend startet die SPD mit einer Auftaktveranstaltung in Hannover ihre Mitgliederbefragung. Ab Dienstag können die rund 358.000 Mitglieder bis einschließlich 29. April abstimmen. Dort will die Parteiführung noch einmal für den Vertrag werben. Bis Ende April soll es zudem Dialogkonferenzen, Online-Veranstaltungen sowie Mitgliederdialoge in den Landesverbänden geben. Die CDU will am 28. April bei einem kleinen Parteitag den Vertrag billigen, die CSU hat es schon getan.
(Bericht von: Markus Wacket; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)