Frankfurt (Reuters) – Nach Jahren der Belastungen ist bei Bayer noch immer keine Lösung in der Glyphosat-Klagewelle in Sicht und auch Vorstandschef Bill Anderson bleibt knapp zwei Jahre nach seinem Amtsantritt den erhofften Befreiungsschlag schuldig.
Die Aktionäre genehmigten am Freitag eine mögliche milliardenschwere Kapitalerhöhung, mit der Bayer einen Vergleich mit den Klägern finanzieren könnte – und knüpfen daran die Hoffnung auf ein Ende der juristischen Hängepartie. “Wenn das der Weg ist, damit wir dieses Risiko endlich eindämmen oder sogar vom Tisch bekommen, dann ist es der richtige”, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Marc Tüngler, auf der virtuellen Hauptversammlung. Der Kapitalvorratsbeschluss deute zumindest auf eine mögliche Lösung hin.
Die Anteilseigner sieht Tüngler seit Jahren zwischen “Hölle und Hoffnung” – Hölle beim Blick ins Depot und Hoffnung auf eine Erlösung aus dem “Monsanto-Desaster”. Anderson versicherte, der Vorstand arbeite mit Hochdruck daran, Bayer wieder auf einen profitablen Wachstumskurs zu bringen. Die Rechtsrisiken wolle der Konzern bis Ende 2026 deutlich eindämmen, bekräftigte er. Anders als 2020 setze Bayer dabei nicht auf einen speziell ausgestalteten Vergleich, bei dem damals keine Einigung zur Abwehr künftiger Klagen gelang. Stattdessen verfolge Bayer nun eine mehrgleisige Strategie – etwa mit einem erneuten Anlauf vor dem Supreme Court und dem Versuch, mehr regulatorische Sicherheit bei der Kennzeichnung von Pflanzenschutzmitteln in den USA zu erreichen. Konkrete Pläne, von dem nun genehmigten Kapital Gebrauch zu machen, gebe es derzeit nicht. “Aber es würde uns wichtigen Handlungsspielraum geben, die Rechtsstreitigkeiten einzudämmen.”
Rund zehn Milliarden Dollar hat Bayer für die Beilegung von Klagen schon gezahlt, die Rückstellungen lagen Ende 2024 bei 5,9 Milliarden Dollar. Im Ringen um ein Ende der Causa Glyphosat schließt Anderson gar einen Ausstieg aus dem Geschäft mit dem Herbizid in den USA nicht aus, wie Reuters bereits im März berichtet hatte. Bayer komme langsam an einen Punkt, “an dem uns die Klageindustrie zwingen könnte, die Vermarktung dieses systemkritischen Produktes einzustellen”, sagte er. Konkrete Pläne gebe es dafür aber nicht.
Die einflussreichen Aktionärsberater ISS und Glass Lewis sowie die großen deutschen Fondsgesellschaften unterstützten den Vorschlag für eine Kapitalerhöhung von bis zu 35 Prozent des Grundkapitals. “Wir tragen diesen Vorschlag und die darin mitschwingende Hoffnung mit, dass sich das Kapitel Monsanto für Bayer tatsächlich erledigen kann”, sagte Hendrik Schmidt von der Fondsgesellschaft DWS. Nach Einschätzung von Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance der Deka Investment, müssen nun die Aktionäre die Zeche zahlen. Angesichts des schwachen Cashflows, hoher Schulden und operativer Unsicherheiten hätten sie jedoch kaum eine andere Wahl, als dem Vorschlag zuzustimmen.
“NUR NOCH EIN SCHATTEN SEINER SELBST”
Auf Anderson wächst unterdessen der Druck, endlich zu liefern. “Selbst für Bayer war 2024 ein ungemütliches Geschäftsjahr”, sagte DWS-Experte Schmidt. Das Ergebnis sei um 14 Prozent eingebrochen, der Aktienkurs hinke dem DAX um fast 60 Prozent hinterher. Bayer sei von Boehringer als größtes deutsches Pharmaunternehmen überholt worden. “Wir fragen uns, ob Bayer seinen Anspruch aufgibt, führend zu sein.” Laut Speich ist das Unternehmen “nur noch ein Schatten seiner selbst.” Die Bilanz von Andersons Amtszeit sei verheerend.
Der Leverkusener Konzern steckt tief in der Krise. Der Börsenwert ist von einst 120 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf knapp 22 Milliarden geschrumpft – ein Bruchteil der 63 Milliarden Dollar, die Bayer vor fast sieben Jahren für den Glyphosat-Entwickler Monsanto zahlte. Mit der Übernahme zog sich das Unternehmen eine Klagewelle in den USA wegen der angeblich krebserregenden Wirkung des Herbizids zu. Die Rechtsstreitigkeiten lasten bis heute schwer auf dem Konzern, der unter Schulden von mehr als 32 Milliarden Euro ächzt.
Anderson setzt bislang vor allem auf ein neues Organisationsmodell, das Bürokratie abbauen und den Konzern schlanker machen soll. Damit einher ging ein massiver Personalabbau, vor allem im Management. Einer Aufspaltung des aus drei Divisionen bestehenden Unternehmens – Pharma, die Agrarsparte Crop Science und das Geschäft mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten – erteilte er am Freitag erneut eine Absage. “Unser Fokus liegt weiter auf der Bewältigung unserer Herausforderungen”, sagte er. Das “nicht jetzt” sollte aber nicht als “nie” missverstanden werden.
(Bericht von Patricia Weiß. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)