– von Asif Shahzad und Shivam Patel
Muzaffarabad/Neu-Delhi (Reuters) – Der Jahrzehnte alte Konflikt zwischen den Atommächten Indien und Pakistan ist erneut eskaliert.
Das indische Militär griff Ziele in Pakistan und im pakistanischen Teil der zwischen beiden Ländern umstrittenen Himalaya-Region Kaschmir an, was zu den schwersten Kämpfen zwischen beiden Staaten seit mehr als 20 Jahren führte. Beide Seiten meldeten mehrere zivile Tote. Pakistan erklärte zudem, fünf indische Kampfjets abgeschossen zu haben. Indien bestätigte diese Angabe zunächst nicht. Die Regierung in Neu-Delhi sprach am Mittwoch von einem Angriff auf Terror-Ziele. Pakistan verurteilte das Vorgehen als “offenkundigen Kriegsakt”.
Die indischen Angriffe am Mittwoch (Ortszeit/Dienstagbend MESZ) umfassten auch Ziele in Punjab. Dies sind die ersten Angriffe Indiens auf Pakistans bevölkerungsreichste Provinz seit dem bislang letzten umfassenden Krieg zwischen beiden Ländern vor mehr als einem halben Jahrhundert. Die Eskalation hat Befürchtungen vor weiteren Feindseligkeiten in einer der instabilsten Regionen der Welt verstärkt. Pakistan beschuldigte Indien, “ein Inferno in der Region entfacht zu haben” und drohte mit Vergeltung: Pakistan werde “zu einem Zeitpunkt, an einem Ort und in einer Art und Weise seiner Wahl reagieren, um den Verlust unschuldiger pakistanischer Leben und die offenkundige Verletzung seiner Souveränität zu rächen”.
Indien erklärte, neun Ziele “terroristischer Infrastruktur” in Pakistan angegriffen zu haben. Darunter seien Standorte mit Verbindung zu einem Angriff militanter Islamisten auf hinduistische Touristen, bei dem im vergangenen Monat 26 Menschen im indischen Teil von Kaschmir getötet wurden. Vier der Ziele befanden sich in der Grenzregion Punjab und fünf im pakistanisch kontrollierten Kaschmir. Indische Streitkräfte fokussierten sich auf Einrichtungen der islamistischen Extremistengruppen Jaish-e-Mohammed und Lashkar-e-Taiba, wie zwei indische Militärsprecher in Neu-Delhi mitteilten.
“PRÄVENTIVE UND VORSORGLICHE ANGRIFFE”
“Die Angriffe zielten auf Terroristenlager, die als Rekrutierungszentren, Abschussrampen, Indoktrinationszentren dienten und Waffen sowie Trainingseinrichtungen beherbergten”, sagte ein Sprecher. Indische Streitkräfte hätten fortschrittliche Waffen und sorgfältig ausgewählte Sprengköpfe eingesetzt, um Kollateralschäden an Zivilisten und Infrastruktur zu vermeiden. “Geheimdienstinformationen und die Überwachung von in Pakistan ansässigen Terrormodulen zeigten, dass weitere Angriffe gegen Indien bevorstanden. Daher waren präventive und vorsorgliche Angriffe notwendig”, erklärte der indische Außenminister Vikram Misri.
Entlang großer Teile der De-facto-Grenze in der Himalaya-Region Kaschmir kam es zu intensivem Beschuss und schwerem Gewehrfeuer, wie Polizei und Augenzeugen berichteten. Nach Polizeiangaben wurden im indisch verwalteten Teil der Region zehn Zivilisten getötet und 48 verletzt. Pakistanische Behörden meldeten mindestens sechs Todesopfer auf ihrer Seite. Lokale Regierungsvertreter im indischen Kaschmir teilten Reuters mit, dass drei Kampfjets in verschiedenen Gebieten der Himalaya-Region in der Nacht abgestürzt seien. Alle drei Piloten seien ins Krankenhaus eingeliefert worden. Vertreter des indischen Verteidigungsministeriums waren für eine Bestätigung der Berichte zunächst nicht erreichbar.
Der Konflikt, von Indien als “Operation Sindoor” bezeichnet, löste internationale Besorgnis aus. US-Präsident Donald Trump nannte die Kämpfe “eine Schande” und äußerte die Hoffnung auf ein schnelles Ende. US-Außenminister Marco Rubio sprach offiziellen Angaben zufolge mit den nationalen Sicherheitsberatern beider Länder und forderte sie auf, “die Kommunikationskanäle offen zu halten und eine Eskalation zu vermeiden”. UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief beide Länder zu größtmöglicher militärischer Zurückhaltung auf. Auch China und Russland wie auch das Auswärtige Amt in Berlin mahnten zu Zurückhaltung.
SPERRUNG VON FLUGHÄFEN UND LUFTRAUM
Die Feindseligkeiten wirkten sich auch auf die Finanzmärkte und den Flugverkehr aus. Indiens Aktienmarkt-Indizes öffneten nach den Nachrichten über die Angriffe niedriger. Der Nifty 50 und der Sensex fielen zunächst, erholten sich aber später und notierten leicht höher. Die indische Rupie schwächte sich gegenüber dem US-Dollar ab und wurde mit 84,5875 notiert, ein Rückgang von 0,2 Prozent für den Tag. Pakistans Leitindex eröffnete mit einem Minus von 5,78 Prozent, erholte sich aber später am Vormittag etwas und notierte dann etwa bei 1,6 Prozent im Minus. Mehrere Fluggesellschaften, darunter IndiGo, Air India und Qatar Airways, strichen Flüge in Gebieten Indiens und Pakistans wegen Sperrungen von Flughäfen und Luftraum.
Vor der Eskalation hatten sich die Spannungen nach einem Angriff militanter Islamisten auf hinduistische Touristen im indischen Kaschmir verschärft, bei dem im vergangenen Monat 26 Menschen getötet worden waren. Indien behauptete, zwei der drei Verdächtigen seien pakistanische Staatsangehörige, legte jedoch keine detaillierten Beweise vor. Pakistan bestritt jede Beteiligung. Das mehrheitlich hinduistische Indien und das überwiegend muslimische Pakistan haben seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1947 zwei ihrer drei Kriege um die umstrittene Region Kaschmir geführt. Beide Länder beanspruchen die Region vollständig, kontrollieren jedoch jeweils nur einen Teil davon.
(Weitere Reporter: Gibran Peshimam, Saeed Shah, Ariba Shahid in Pakistan, Shivam Patel, Tanvi Mehta, Krishna Das in New Delhi, Fayaz Bukhari in Srinagar, and Tariq Maqbool in Muzaffarabad, bearbeitet von Alexander Ratz, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)