Brüssel/Berlin (Reuters) – Bundeskanzler Friedrich Merz tritt dem Eindruck entgegen, die neue Bundesregierung wolle Asylbewerber ohne Absprache mit den Nachbarstaaten an den Grenzen zurückweisen.
“Es gibt hier keinen deutschen Alleingang. Wir sind abgestimmt mit unseren europäischen Nachbarn”, sagte Merz am Freitag in Brüssel. Es habe am Donnerstag “Irritationen” gegeben, deshalb betone er: “Es hat niemand in der Bundesregierung, auch ich persönlich nicht, eine Notlage ausgerufen.” Man kontrolliere jetzt die Grenzen intensiver, “in etwa so wie während der Fußball-Europameisterschaft im letzten Jahr.”
Der Kanzler betonte, dass man Personen an der Grenze im Einklang mit europäischem Recht weiter zurückweisen werde. Die europäischen Nachbarn seien vollumfänglich informiert. Nach einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekräftigte er, dass er ein “nachhaltiger und dauerhafter Befürworter des Europäischen Binnenmarktes und auch des Schengenraums” sei. “Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, dass es zu Einschränkungen im Grenzverkehr kommt, im Personenverkehr über die Binnengrenzen kommt”, fügte er in Richtung der anderen EU-Regierungen hinzu.
Hintergrund der Debatte ist, dass Merz im Wahlkampf angekündigt hatte, dass Geflüchtete an den Grenzen ab dem ersten Tag seiner Kanzlerschaft zurückgewiesen würden, weil Deutschland von sicheren EU-Staaten umgeben sei und Asylverfahren in anderen Staaten bearbeitet werden müssten. Der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte am Mittwoch dann einen verschärftes Grenzmanagement angekündigt, über das am Donnerstag auch die Botschafter der EU-Nachbarn informiert wurden. Dobrindt hatte mitgeteilt, dass Migranten auch bei Asylgesuchen zurückgewiesen würden. Eine gegenteilige Weisung aus dem Jahr 2015 werde zurückgenommen.
In Regierungskreisen wurde auf Artikel 18 des Asylgesetzes verwiesen, in dem es heißt: “Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist.” Dobrindt verwies im ZDF auch auf den “Notlagen”-Artikel 72 im EU-Vertrag, der bei Gefahr für die innere Sicherheit und Ordnung den Staaten Sonderrechte einräumt. Etliche Nachbarstaaten hatten die neue Bundesregierung vor Alleingängen gewarnt. Ein Regierungssprecher hatte am Donnerstag einen “Welt”-Bericht dementiert, dass Merz für die Zurückweisungen eine nationale Notlage erklären wolle.
Merz verwies in Brüssel aber auch darauf, dass nach den Dublin-Regeln die Beantragung eines Asylverfahrens an einer deutschen europäischen Binnengrenze in der Regel nicht möglich sei – egal ob es um das deutsche oder europäische Asylrecht gehe. EU-Kommissionspräsident von der Leyen vermied eine klare Stellungnahme, betonte aber, dass es einer engen Absprache mit der EU-Kommission und der Nachbarländer bedürfe. Der zuständige EU-Kommissar Magnus Brunner habe bereits mit Dobrindt telefoniert. Ein Problem bestehe darin, dass man zwar ein neues Asylregime in der EU beschlossen habe, die Regeln aber noch nicht umgesetzt seien.
In SPD gibt es Unmut über die Debatte – wobei man allerdings vor allem Unklarheiten zwischen CDU- und CSU-Akteuren vermutet. “Wir wollen in der Migrationspolitik weiterhin verantwortungsvoll handeln und Humanität mit Ordnung verbinden”, sagte SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede der “Rheinischen Post” (Samstag). Die europäische Einigung im Asylbereich dürfe nicht gefährdet werden. “Pauschale Zurückweisungen bei Asylgesuchen an den Grenzen sind mit geltendem europäischen Recht nicht vereinbar”, sagte Eichwede. Sie vertraue darauf, dass die Bundespolizei vor Ort rechtskonform handele. “Statt einseitig mit schärferen Maßnahmen vorzupreschen, braucht es eine enge Abstimmung mit unseren europäischen Partnern – das entspricht auch der Handschrift unseres Koalitionsvertrags.”
(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Sabine WOllrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)