Kairo (Reuters) – Nach mehr als zwei Monaten Blockade und dem Start einer neuen Bodenoffensive will Israel wieder Hilfslieferungen in den Gazastreifen lassen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am Montag, Israel wolle im Rahmen der am Sonntag eingeleiteten umfassenden Einsätze von Bodentruppen den gesamten Gazastreifen unter seine Kontrolle bringen und die Kämpfer der radikal-islamischen Hamas daran hindern, Hilfslieferungen zu plündern. Israel hat die Hilfen für die notleidende Bevölkerung in dem abgeriegelten Palästinenser-Gebiet seit Anfang März blockiert und dies auch damit begründet, dass die Hamas die Lieferungen stehlen und verkaufen würde. Die Hamas bestreitet die Vorwürfe. Bei neuen israelischen Luftangriffen wurden mindestens 20 Palästinenser getötet.
Das israelische Militär teilte mit, Streitkräfte seien im Rahmen der neuen Offensive “Gideons Streitwagen” im gesamten Gazastreifen im Einsatz. Ziel sei es, die militärischen und administrativen Fähigkeiten der Hamas zu zerstören und die verbliebenen Geiseln zurückzubringen, die beim Überfall der Islamisten auf Israel im Oktober 2023 verschleppt wurden.
ERSTE HILFSLIEFERUNGEN NOCH AM MONTAG
Netanjahu kündigte an, Israel werde die Blockade lockern und begrenzte Mengen an Nahrungsmitteln in den Gazastreifen lassen. Palästinensische Medien berichteten, dass 50 Lastwagen mit Mehl, Speiseöl und Hülsenfrüchten noch am Montag in das Küstengebiet gelassen werden sollten. Israelischen Medien zufolge sollten neun Lastwagen mit Babynahrung in den kommenden Stunden hineinfahren. Ein Reuters-Reporter am Grenzübergang Kerem Schalom berichtete, dass allerdings bis zum späten Vormittag keine Aktivitäten zu sehen waren. Das UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) teilte mit, es werde sich gegenüber der Presse äußern, “wenn und falls Hilfsgüter hineinkommen”.
Israel steht wegen des Stopps humanitärer Hilfe unter wachsendem internationalen Druck. Die Blockade wurde kurz vor dem Bruch einer zweimonatigen Waffenruhe errichtet, auch um die Hamas zur Herausgabe der verbliebenen Geiseln zu zwingen. Hilfsorganisationen warnen seit längerem vor einer Hungersnot in dem dicht besiedelten Gebiet mit seinen rund 2,3 Millionen Einwohnern.
EXTREMISTENANFÜHRER BEI ISRAELISCHEM KOMMANDOEINSATZ GETÖTET
Die Armee setzte ihre neue Bodenoffensive fort. Bewohner und Sanitäter berichteten, eine israelische Spezialeinheit habe bei einem Einsatz im Süden des Gazastreifens einen Anführer einer mit der Hamas verbündeten Extremistengruppe getötet. Demnach seien die Soldaten als Flüchtlinge getarnt ins Zentrum der Stadt Chan Junis vorgedrungen. Sie hätten den Extremistenanführer bei einem Gefecht getötet, seine Frau und Kinder gefangengenommen und sich dann in einem Bus unter Deckungsfeuer von Flugzeugen zur östlichen Grenze des Gazastreifens zurückgezogen.
Israel hatte die Erlaubnis für neue Hilfslieferungen am Sonntag angekündigt. Kurz zuvor war aus Verhandlungskreisen verlautet, dass bei einer neuen Runde indirekter Gespräche zwischen Israel und der Hamas in Katar keine Fortschritte erzielt worden seien. Netanjahu sagte, die Beratungen hätten sich um eine Waffenruhe und ein Geiselabkommen sowie einen Vorschlag zur Beendigung des Krieges durch die Verbannung von Hamas-Kämpfern und die Entmilitarisierung des Gazastreifens gedreht – Bedingungen, die die Hamas zuvor abgelehnt hatte.
Die Hamas machte Israel für die mangelnden Fortschritte bei den Gesprächen in Doha verantwortlich. Zudem gefährde die Militäroffensive das Leben der Geiseln. “Die Einsätze von ‘Gideons Streitwagen’ sind ein Todesurteil für die verbliebenen israelischen Gefangenen”, sagte der ranghohe Hamas-Vertreter Abu Suhri zu Reuters. “Die Fortsetzung dieser Einsätze bedeutet, dass Netanjahu darauf abzielt, die Geiseln loszuwerden, nicht sie zurückzuholen”, sagte er. Die Hamas hatte schon wiederholt erklärt, mehrere Geiseln seien bei israelischen Luftangriffen getötet worden. Israel wirft der Islamisten-Gruppe dagegen vor, Geiseln in ihrer Gewalt hingerichtet zu haben.
(Bericht von Nidal al-Mughrabi, geschrieben von Christian Götz, redigiert von Christian Rüttger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)