Shanghai (Reuters) – Inmitten des Handelskonflikts mit den USA hat die chinesische Notenbank erstmals seit Oktober die Leitzinsen gesenkt.
Sie schraubte die geldpolitischen Schlüsselsätze nach unten, um die Darlehensvergabe zu stützen. China verstärkt damit seine Maßnahmen, um negative Auswirkungen der neuen US-Zölle auf die heimische Wirtschaft abzufedern. Sie verringerte den einjährigen Leitzins (LPR) am Dienstag von zuvor 3,1 Prozent auf 3,0 Prozent. Der fünfjährige Leitzins wurde von 3,60 Prozent auf 3,50 Prozent gesenkt. Die meisten neuen und ausstehenden Verbraucherkredite in China basieren auf dem einjährigen LPR, während der Fünfjahreszinssatz die Höhe der Hypothekenzinsen beeinflusst.
An den Finanzmärkten war die geldpolitische Lockerung erwartet worden, nachdem Notenbankchef Pan Gongsheng noch vor den Verhandlungen im Handelsstreit mit den USA ein Paket zur Konjunkturstützung angekündigt hatte. Nachdem die Gespräche in Genf zumindest zu einer Deeskalation im Handelskonflikt zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt geführt haben, sehen Experten die Konjunkturaussichten für die Volksrepublik zwar etwas rosiger.
Dennoch gilt das Wachstumsziel der Führung in Peking für das laufende Jahr weiterhin als ambitioniert: “Wir gehen weiterhin davon aus, dass es für Peking eine große Herausforderung sein wird, das Wachstumsziel von rund fünf Prozent zu erreichen, wenn kein umfangreiches Konjunkturpaket aufgelegt wird”, sagte Ting Lu, Chefvolkswirt für China bei der Finanzgruppe Nomura. Chinas Wirtschaft war zu Jahresbeginn und damit vor Ausbruch des Zollkonflikts zwar überraschend kräftig gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Januar bis März um 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu. Doch ob das Wachstumstempo gehalten werden kann, ist wegen der Verwerfungen im internationalen Handelskonflikt fraglich.
ABWARTEN ODER WEITER SENKEN?
Dennoch fielen die aktuellen Zinssenkungen moderat aus und spiegelten damit das schrittweise Tempo der geldpolitischen Lockerung der vergangenen Jahre wider. Der Referenzzins LPR wird normalerweise den besten Kunden der Banken gewährt. Er wird monatlich festgelegt, nachdem bestimmte Geschäftsbanken ihre Zinsvorschläge bei der Zentralbank eingereicht haben. Die Zinssenkung der Notenbank wurde nun bekanntgegeben, kurz nachdem fünf der größten staatlichen Banken Chinas ihre Einlagenzinsen gekappt hatten. Dies könnte auch kleinere Banken zu ähnlichen Zinssenkungen anregen.
Laut Marco Sun, Chef-Finanzmarktanalyst der MUFG Bank (China) zielen die Zinssenkungen darauf ab, die Kreditvergabe zu fördern und den Konsum anzukurbeln: “Die Zentralbank wird in den kommenden Monaten wahrscheinlich zu einer abwartenden Haltung übergehen: Es sei denn, die externen geopolitischen Risiken verschlechtern sich so stark, dass die Hoffnung auf eine Stabilisierung der Wirtschaft zunichte gemacht wird”, sagte Sun.
Die Zinssenkungen seien ein präventiver Schritt gewesen, sagte Xing Zhaopeng, leitender China-Stratege bei der Bank ANZ. “Ein Ziel ist es, die Nettozinsmarge der Geschäftsbanken zu stabilisieren und sich für die Zukunft zu rüsten.” Der Experte erwartet eine weitere Zinssenkung bis Ende Juli.
(Bericht von Winni Zhou, Ziyi Tang, Liz Lee, geschrieben von Reinhard Becker. Redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)