Wien (Reuters) – Der österreichische Öl-, Gas- und Chemiekonzern OMV steht vor einem Führungswechsel im kommenden Jahr.
Vorstandschef Alfred Stern werde nach dem planmäßigen Auslaufen seines Vertrags Ende August 2026 nicht für eine weitere Periode zur Verfügung stehen, teilte das Unternehmen am Dienstag mit. Laut OMV sei der Rückzug eine persönliche Entscheidung Sterns. Details zum weiteren Vorgehen in der Nachfolgeplanung sollen zu gegebener Zeit veröffentlicht werden.
“Alfred Stern hat als CEO die größte Transformation in der Unternehmensgeschichte der OMV eingeleitet”, sagte Aufsichtsratsvorsitzender Lutz Feldmann. “Ich bedaure seine persönliche Entscheidung sehr. Wir verlieren einen CEO, der die OMV Gruppe mit einer klaren Vision zukunftsgerichtet und zukunftsfähig aufgestellt hat”. Stern zeigte sich in seiner Stellungnahme zufrieden mit dem bisher Erreichten: “Unsere Transformation ist auf Kurs, und wir haben zentrale, wegweisende Meilensteine erreicht, die uns langfristig wirtschaftlichen Erfolg und nachhaltiges Wachstum ermöglichen”.
An der Wiener Börse reagierten Anleger zunächst verhalten. Die OMV-Aktie gab zuletzt rund ein halbes Prozent nach. Zwar ist es in Großkonzernen üblich, einen Führungswechsel etwa ein Jahr im Voraus zu kommunizieren, dennoch kam Sterns Entscheidung für viele überraschend. Analysten werteten die Nachricht überwiegend als negatives Signal.
ENERGIEKRISE UND MEGA-FUSION
Der 60-Jährige hatte im September 2021 das Ruder bei Österreichs größtem Industriekonzern übernommen, nachdem er zuvor einige Monate die Leitung des neuen Geschäftsbereichs Chemicals & Materials innegehabt hatte. Davor war er Chef des zur OMV gehörenden Petrochemiekonzerns Borealis. Er steht für den von seinem Vorgänger initiierten langfristigen Wandel des teilstaatlichen Unternehmens: weg von fossilen Rohstoffen hin zu nachhaltigen Kraftstoffen, Chemikalien und Kreislaufwirtschaft.
Ein zentraler Meilenstein seiner Amtszeit war die im März erzielte Einigung mit dem Kernaktionär Adnoc über die Fusion der Petrochemietöchter Borealis und Borouge. Die Verhandlungen hatten sich über zwei Jahre hingezogen und wurden maßgeblich von Stern selbst geführt. Mit der Gründung der Borouge Group International entsteht ein globaler Petrochemieriese mit Sitz in Österreich und einem Unternehmenswert von rund 60 Milliarden Dollar. Stern bezeichnete den Deal in einem Interview mit Reuters als “absoluten Lichtblick”. Der Abschluss der Transaktion wird für das erste Quartal 2026 erwartet. Wer das neue Unternehmen künftig führen wird, ist noch offen. Stern hatte bereits angedeutet, dass er für diese Position nicht zur Verfügung stehen werde.
Mit der geplanten Fusion dürfte die OMV vor einer strategischen Neupositionierung stehen. Kritiker sehen in dem Zusammenschluss zwar einen industriellen Erfolg, befürchten aber zugleich, dass damit die von Stern verfolgte Chemiestrategie an Bedeutung verliert. Der Fokus könnte sich von einem nachhaltigen Chemieunternehmen wieder stärker zu einem renditeorientierten Energie- und Beteiligungskonzern verschieben – mit deutlich stärkerem Einfluss von Adnoc.
Auch geopolitisch war Sterns Amtszeit durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise herausfordernd. Die OMV wurde in Russland faktisch enteignet und musste milliardenschwere Abschreibungen hinnehmen. Im Dezember 2023 beendete die OMV nach einem Rechtsstreit mit der russischen Gazprom ihren langfristigen Erdgasliefervertrag. Österreich gehörte zu diesem Zeitpunkt zu den letzten europäischen Ländern mit signifikanter Abhängigkeit von russischem Gas.
(Bericht von Alexandra Schwarz-Goerlich, redigiert von Myria Mildenberger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)