EU spielt im Handelsstreit viel stärkere Maßnahmen gegen USA durch

Brüssel/Berlin/Washington (Reuters) – Vor den Anfang August drohenden deutlich höheren US-Zöllen steigt die Nervosität.

Die Europäische Union spielt Diplomaten zufolge ein wesentlich umfangreicheres Paket mit möglichen Gegenmaßnahmen durch, die sich auch gegen amerikanische Internet-Riesen richten könnten. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will eine Eskalation im Handelsstreit vermeiden, der sich schon seit dem Frühjahr hinzieht. EU-Gegenmaßnahmen soll es demnach nicht vor dem 1. August geben und nur, wenn die Gespräche scheitern. Der deutsche Außenhandelsverband BGA betonte am Montag, die EU dürfe sich nicht erpressen lassen.

Sollte es mit den USA nicht wie geplant bis Ende Juli eine Verständigung geben, seien immer mehr EU-Staaten bereit, härter zurückzuschlagen, sagten mehrere europäische Diplomaten der Nachrichtenagentur Reuters. Dazu gehöre auch Deutschland. “Es wird keinen Deal um jeden Preis geben”, hatte Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) zuletzt gesagt. Merz hat sich am Wochenende laut Regierungssprecher Stefan Kornelius eng mit der EU-Kommission abgestimmt. “Die Verhandlungen sind intensiv, sie liegen federführend bei der Kommission, da belassen wir es.” Die Bundesregierung stehe hinter den Vorschlägen der Kommission. Das Thema werde auch beim Deutschland-Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Mittwoch angesprochen.

Lange sah es so aus, als ob Europa mit pauschalen Zöllen von zehn Prozent auf Exporte in die USA davonkommen könnte. US-Präsident Donald Trump drohte zuletzt aber mit 30 Prozent ab August. Ein solches Niveau würde laut EU-Handelskommissar Maros Sefcovic den gegenseitigen Handel weitgehend zum Erliegen bringen. Diplomaten zufolge hat er den 27 EU-Staaten am Freitag einen ernüchternden Bericht seiner jüngsten USA-Reise gegeben. Ein Diplomat sagte, es scheine kaum Spielraum zu geben, die noch höheren Sonderzölle für einzelne Branchen – 50 Prozent auf Stahl und Aluminium sowie 25 Prozent auf Autos – wegzubekommen oder massiv zu senken. Auch die Idee eines Verzichts auf weitere Zölle nach einer Verständigung sei in Washington abgelehnt worden.

Die EU hatte ein erstes Paket mit Gegenmaßnahmen auf einen Warenkorb von US-Exporten im Volumen von 21 Milliarden Euro geschnürt. Dies ist aber noch bis zum 6. August ausgesetzt. Ein zweites Paket, das sich auf US-Güter im Wert von 72 Milliarden Euro bezieht, wird derzeit abgestimmt. Im Raum steht nun auch, US-Dienstleistungsfirmen anzugehen. Sie könnten bei Investitionen behindert werden oder schwieriger an öffentliche Aufträge kommen. Frankreich setzt sich seit längerem für diese härtere Gangart ein, die manche Beobachter als “nukleare Option” bezeichnen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zuletzt gesagt, dies sei für außergewöhnliche Situationen vorgesehen. “Hier sind wir noch nicht.”

WEITERE VERSCHIEBUNG?

US-Finanzminister Scott Bessent, der eine wichtige Rolle in den Verhandlungen mit der EU spielt, sagte in einem CNBC-Interview, es gehe eher um die Qualität von Handelsdeals als die Geschwindigkeit. “Wir werden nichts überstürzen, nur um einen Deal zu machen.” Trump werde entscheiden, ob die Frist von Anfang August angepasst werden müsse. Weil aber nicht alle Sonderzölle der USA ausgesetzt sind, würde eine abermalige Verschiebung die europäische Industrie viel Geld kosten. In der Bundesregierung hieß es deswegen zuletzt, die Wirtschaft dringe auf eine schnelle Lösung, auch wenn sie mit Nachteilen verbunden sei.

“Die EU muss jetzt Stärke zeigen, wir lassen uns nicht erpressen”, sagte BGA-Präsident Dirk Jandura zu Reuters. Schon Zölle in Höhe von zehn Prozent würden für viele mittelständische Unternehmen über der Belastungsgrenze liegen. “Zölle in Höhe von 20 bis 30 Prozent würden ihnen wirtschaftlich das Genick brechen.” Nötig seien weniger Zölle, nicht mehr. “Aber wir müssen einsehen, dass der Weg der Diplomatie in einer Sackgasse endet.” Wenn Kompromissvorschläge als Schwäche verstanden würden, dann müsse ab jetzt Stärke gezeigt werden. “Wir sind einer der größten Wirtschaftsräume der Welt und auch unsere Strafzölle haben Folgen”, so der BGA-Präsident. “Handelskonflikte schaden am Ende allen – aber einseitiges Nachgeben schadet Europa noch mehr.” Die USA sind der wichtigste deutsche Handelspartner. Im vergangenen Jahr wurden Waren im Wert von rund 253 Milliarden Euro zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten gehandelt.

(Bericht von Philip Blenkinsopt, Andrew Gray, Andreas Rinke, Susan Heavy, Andrea Shalal, Rene Wagner und Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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