– von Andreas Rinke und Alexander Ratz
Berlin/Paris/Jerusalem (Reuters) – Im Gegensatz zu Frankreich hält die Bundesregierung die Anerkennung eines palästinensischen Staates zum jetzigen Zeitpunkt für falsch.
“Die Bundesregierung hält an der Überzeugung fest, dass nur eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung dauerhaft Frieden und Sicherheit für Israelis und Palästinenser bringen wird”, erklärte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Freitag in Berlin. “Die Anerkennung eines palästinensischen Staates betrachtet sie weiter als einen der abschließenden Schritte auf dem Weg zur Verwirklichung einer Zwei-Staaten-Lösung.” Israels Sicherheit habe dabei für die Bundesregierung “übergeordnete Bedeutung”, betonte Kornelius. “Die Bundesregierung plant insofern nicht, kurzfristig einen palästinensischen Staat anzuerkennen.”
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte am Donnerstagabend angekündigt, einen Palästinenserstaat im September anerkennen zu wollen. Diesen für die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York geplanten Schritt habe er Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in einem Brief mitgeteilt, gab Macron auf der Plattform X bekannt. Er hoffe, dass dies zum Frieden in der Region beitragen werde. Frankreich wäre der erste bedeutende westliche Staat, der Palästina anerkennen würde. Bislang haben diesen Schritt etwa Irland und Spanien vollzogen.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verurteilte Frankreichs Plan, einen Palästinenserstaat anzuerkennen. Ein solcher Schritt belohne Terrorismus, teilte Netanjahu mit. Zudem berge er das Risiko, dass ein weiterer Stellvertreter des Iran geschaffen werde. Israels Verteidigungsminister Israel Katz bezeichnete die geplante Anerkennung als Schande und Kapitulation vor Terrorismus. Israel werde die Errichtung eines palästinensischen Staates, der “unsere Sicherheit verletzt und unsere Existenz gefährdet”, nicht dulden, betonte Israel Katz.
“SCHLAG INS GESICHT”
Die USA lehnen den Plan Macrons entschieden ab, einen Palästinenserstaat durch die UN-Generalversammlung anerkennen zu lassen. Dies teilte US-Außenminister Marco Rubio auf dem Kurznachrichtendienst X am Donnerstagabend mit. “Diese rücksichtslose Entscheidung dient nur der Propaganda der Hamas und behindert den Friedensprozess. Sie ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer vom 7. Oktober”, schrieb Rubio mit Blick auf das Massaker der radikal-islamischen palästinensischen Hamas in Israel im Jahr 2023, bei dem 1200 Menschen ermordet und weitere 251 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, von denen zahlreiche Opfer immer noch nicht zurückgekehrt sind.
Auch in Großbritannien und Italien stieß das Vorpreschen Macrons auf Ablehnung. Großbritannien unterstütze grundsätzlich die Anerkennung eines Palästinenser-Staates, sehe die Priorität derzeit jedoch an anderer Stelle, sagte Technologieminister Peter Kyle dem Sender Sky News. Zunächst müsse das Leid im Gazastreifen gelindert und ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas erreicht werden. Nach Ansicht des italienischen Außenministers Antonio Tajani kann ein Palästinenser-Staat nur dann anerkannt werden, wenn dieser zeitgleich auch Israel anerkennt. “Ein palästinensischer Staat, der Israel nicht anerkennt, bedeutet, dass das Problem nicht gelöst wird”, sagte Tajani in Rom.
In Berlin betonte auch Regierungssprecher Kornelius, für die Bundesregierung stünden andere Aspekte im Vordergrund. Es brauche zunächst einen Waffenstillstand im Gazastreifen, die verbliebenen israelischen Geiseln müssten freikommen, die radikal-islamische Hamas müsse entwaffnet werden, ihr “Terror muss enden”. Israel müsse seinerseits “die katastrophale humanitäre Lage in Gaza sofort und drastisch verbessern” und der leidenden Zivilbevölkerung menschenwürdige, dringend notwendige Versorgung zukommen lassen. “Eine tragfähige politische Perspektive für Gaza ist notwendig, damit aus einem befristeten Waffenstillstand dauerhafter Frieden werden kann”, betonte der Regierungssprecher. Zudem dürfe es von Israel “keine weiteren Schritte hin zu einer Annexion des Westjordanlandes geben”.
INSIDER: SICHERHEITSKABINETT TAGT AM MONTAG
Zu diesen Fragen stehe die Bundesregierung in ständigem Austausch mit der israelischen Regierung und den internationalen Partnern. Deutschland sei bereit, “den Druck zu erhöhen, wenn Fortschritte ausbleiben”, sagte Kornelius. “Ihre Hilfe zur Schaffung der Voraussetzungen palästinensischer Staatlichkeit setzt die Bundesregierung fort.” Dazu gehöre auch die Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde. “Über all das ist sich die Bundesregierung mit Frankreich einig, ebenso mit den Partnern in der Region.” Dies gelte “ungeachtet der bekannten unterschiedlichen Positionen zur Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für eine Anerkennung Palästinas.”
Wie die Nachrichtenagentur Reuters aus Regierungskreisen erfuhr, plant Bundeskanzler Friedrich Merz für Montagnachmittag eine Sitzung des Sicherheitskabinetts. Offiziell wurde der Termin noch nicht bestätigt. Offenbar geht es darum, angesichts der französischen Ankündigung einer Anerkennung eines palästinensischen Staates, der Situation im Gazastreifen sowie der israelischen Debatte über eine Annexion des besetzten palästinensischen Westjordanlandes eine geschlossene Haltung der Bundesregierung zu demonstrieren.
(Mitarbeit von Reuters-Büros; Redigiert von; Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)