Job-Kahlschlag bei Intel – Werk in Magdeburg vom Tisch

Frankfurt (Reuters) – Wegen erneuter Milliardenverluste greift Intel-Chef Lip-Bu Tan hart durch.

Neben Massenentlassungen verkündete er am Donnerstag (Ortszeit) das endgültige Aus für das geplante Chip-Werk in Magdeburg. “Es wird keine Blankoschecks mehr geben”, betonte Tan in einem internen Rundschreiben. “Jede Investition muss wirtschaftlich sinnvoll sein. Wir werden das bauen, was unsere Kunden brauchen, wenn sie es brauchen.” Neben Magdeburg strich Tan auch ein Projekt in Polen. Den Bau der Werke im US-Bundesstaat Ohio will er verlangsamen.

Bislang hatte der einst weltgrößte Halbleiter-Hersteller mit Sitz im kalifornischen Santa Clara in Erwartung einer anziehenden Nachfrage Kapazitäten aufgebaut. “Ich halte nichts von der Erwartung, dass die Kunden schon kommen werden, nur weil das Angebot vorhanden ist”, betonte Tan in einer Telefonkonferenz.

Das Bundeswirtschaftsministerium bezeichnete Intels Entscheidung als nicht überraschend. “Gleichwohl ist es keine gute Nachricht für die betroffene Region.” Politiker hatten gehofft, dass in Magdeburg ähnlich wie rund um die Chipwerke in Dresden ein Ökosystem aus Hightech-Zulieferern entsteht. Intels “Megafab” sollte Teil einer Initiative werden, um den Weltmarktanteil in Europa produzierter Computerchips zu erhöhen. Damit will die EU-Kommission Lieferausfälle wie während der Coronavirus-Pandemie verhindern.

Experten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) äußerten sich dagegen positiv. Sie hatten die geplanten, bislang aber nicht ausgezahlten zehn Milliarden Euro schweren staatlichen Subventionen für Intel stets kritisch gesehen. “Der Staat sollte sich auf die allgemeinen Rahmenbedingungen konzentrieren und es den Marktprozessen überlassen, welche Wirtschaftsstrukturen sich herausbilden”, betonte Stefan Kooths, der Direktor des IfW-Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum.

ZWEITER JOB-KAHLSCHLAG BINNEN EINES JAHRES

Bei der zweiten Entlassungswelle binnen eines Jahres soll knapp ein Viertel der bislang etwa 100.000 Jobs wegfallen. Intel bemühe sich dabei um einen “chirurgischen” Ansatz, erläuterte Finanzchef David Zinsner. “Wir haben etwa 50 Prozent der Entscheidungsebenen herausgenommen.” Tan hatte bereits bei seiner Amtsübernahme im Frühjahr kritisiert, dass das mittlere Management des Konzerns aufgebläht sei.

In einem ersten Schritt würden etwa 15 Prozent der Stellen gestrichen. Die übrigen Jobs sollen durch natürliche Fluktuation und “andere Maßnahmen” abgebaut werden. Vor einem Jahr hatte der damalige Intel-Chef Pat Gelsinger mit ähnlichen Maßnahmen versucht, den schlingernden Konzern wieder auf Kurs zu bringen. Er musste jedoch wenige Monate später seinen Hut nehmen.

PERMANENTER KRISENMODUS – KI-ZUG IST VORERST ABGEFAHREN

Intel befindet sich nach einer Serie von Fehlentscheidungen in der Dauerkrise. Das Unternehmen aus dem Silicon Valley, dessen Slogan “Intel Inside” für hohe Qualität stand, hat den KI-Trend verschlafen und vor allem bei ertragsstarken Hochleistungsprozessoren für Server keine konkurrenzfähigen Produkte im Angebot. Gleichzeitig schwächelt das Geschäft mit klassischen Chips. Ein weiterer Belastungsfaktor ist die aktuelle US-Zollpolitik. Zwar sind Halbleiter von den Abgaben bislang ausgenommen. Wegen der unsicheren Aussichten für die Konjunktur zögern Verbraucher und Unternehmen aber Käufe hinaus.

Das größte Sorgenkind Intels ist die Auftragsfertigung. Sie hinkt dem taiwanischen Weltmarktführer TSMC technologisch hinterher. Trotz milliardenschwerer Investitionen produziert dieser Geschäftsbereich, der Halbleiter für andere Firmen herstellt, bislang nur Verluste. Mit der hochmodernen Fertigungstechnik “18A” will Intel aufschließen. Die Entwicklung wurde allerdings von technischen Problemen und Verzögerungen geplagt. Am Donnerstag kündigte Tan in dem Rundschreiben an, “18A” in großem Stil einführen zu wollen.

Bei der Arbeit an der Nachfolge-Generation “14A” stehe Kostendisziplin weit oben auf der Prioritätenliste, betonte Tan. In einer Pflichtmitteilung warnte Intel, dass der Konzern zur Aufgabe seiner Chip-Fertigung gezwungen sein könnte, sollten sich nicht genügend externe Kunden für “14A” finden. Bislang produziert die Auftragsfertigungssparte vor allem Intel-Prozessoren.

ÜBERRASCHEND HOHER VERLUST UND ENTTÄUSCHENDER AUSBLICK

Im zweiten Quartal machte Intel einen überraschend hohen Verlust von 2,9 Milliarden Dollar. Darin enthalten seien Kosten von knapp zwei Milliarden Dollar für den Jobabbau. Die Talfahrt der Umsätze fand allerdings ein Ende. Sie stabilisierten sich bei 12,9 Milliarden Dollar. Für das laufende Quartal prognostizierte Intel ebenfalls einen Verlust über Markterwartungen.

Anleger reagierten enttäuscht auf die Zahlen. Die in Deutschland notierten Intel-Aktien verloren 6,5 Prozent. Im vorbörslichen Geschäft der Wall Street rutschten sie um mehr als fünf Prozent ab. Die Titel des Erzrivalen AMD legten dagegen etwa ein Prozent zu. Analyst Joshua Buchalter vom Vermögensverwalter Cowen begrüßte die angekündigten Sparmaßnahmen und die schonungslose Beurteilung der aktuellen Lage. Die Aussagen zu “14A” schürten allerdings Sorgen vor einem weiteren Verlust von Marktanteilen. “Die Zukunft von Intel erscheint unverändert trübe.”

(Bericht von Hakan Ersen; unter Mitarbeit von Arsheeya Bajwa und Christian Krämer, Max A. Cherney und Stephen Nellis; Redigiert von Ralf Banser; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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