Berlin (Reuters) – Nach der vorläufigen Einigung zwischen der EU und den USA im Zollstreit erwartet eine Mehrheit der deutschen Unternehmen neue Belastungen im transatlantischen Handel.
58 Prozent befürchten weitere Beeinträchtigungen, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Blitzumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter rund 3500 Betrieben hervorgeht. Bei Unternehmen mit direktem US-Geschäft geben dies sogar drei Viertel (74 Prozent) an. Eine wirtschaftliche Entlastung durch die Zolleinigung erwartet so gut wie niemand: Nur fünf Prozent rechnen mit positiven Effekten. “Statt Erleichterung melden uns viele deutsche Unternehmen vor allem eins: zusätzliche Sorgen”, fasste DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov die Ergebnisse der bundesweiten Umfrage zusammen.
Die Einigung – die ab Donnerstag US-Zölle von 15 Prozent auf die meisten EU-Waren vorsieht – möge politisch wohl notwendig gewesen sein. “Für viele Unternehmen in Deutschland ist sie dennoch eine bittere Pille”, sagte Melnikov. “Sie bringt zusätzliche Belastungen statt Entlastungen: höhere Zölle, mehr Bürokratie sowie sinkende Wettbewerbsfähigkeit.” Besonders problematisch sei, dass noch nicht einmal sicher sei, ob dieser Kompromiss auch halte. “Nichts ist garantiert”, sagte Melnikov. Deshalb müsse die EU-Kommission in den weiteren Gesprächen dringend auf Verbesserungen drängen.
Fast drei Viertel aller befragten Unternehmen (72 Prozent) spüren bereits jetzt negative Auswirkungen der bisherigen US-Handelspolitik – viele davon deutlich. Für Betriebe mit direktem US-Geschäft ist die Lage besonders bitter: Neun von zehn Betrieben sehen bereits negative Effekte. Die größte Belastung für diese Betriebe ist demnach die anhaltende handelspolitische Unsicherheit, insbesondere die Sorge vor weiteren Zollmaßnahmen. 80 Prozent der Befragten geben dies als zentrales Problem an. Fast ebenso viele (72 Prozent) sehen im US-Basiszollsatz von aktuell zehn Prozent und der bevorstehenden Anhebung ab 7. August auf 15 Prozent eine spürbare Belastung ihrer Geschäfte. Diesen Zollsatz hatte US-Präsident Donald Trump mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgehandelt.
Die handelspolitischen Unsicherheiten hinterlassen auch in der globalen Marktstrategie deutscher Unternehmen deutliche Spuren. 54 Prozent der Firmen mit direktem US-Geschäft geben an, weniger mit den USA handeln zu wollen. 26 Prozent reduzieren ihre US-Investitionen oder legen sie auf Eis.
Die höheren Zollkosten im US-Geschäft treffen nicht nur die Unternehmen in Deutschland. Von den Betrieben, die von einem veränderten Umgang mit Zollkosten berichten, geben 84 Prozent an, zumindest einen Teil der Mehrkosten an ihre Kunden in den USA weiterzugeben. Damit heizten die Zölle die US-Inflation an. “Die US-Zollpolitik kennt keine Gewinner: Sie schadet Unternehmen und Verbrauchern auf beiden Seiten des Atlantiks”, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführerin Melnikov.
Angesichts der Herausforderungen im US-Geschäft nehmen knapp zwei Drittel der deutschen Unternehmen verstärkt neue Märkte in den Blick. Für knapp drei Viertel davon gewinnt der europäische Binnenmarkt als stabiler und berechenbarer Wirtschaftsraum an Bedeutung. Auch der asiatisch-pazifische Raum rückt demnach stärker in den Fokus, ebenso wie weitere europäische Länder außerhalb der EU. Allerdings bleibe der transatlantische Markt für die deutsche Wirtschaft “unverzichtbar”, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführerin Melnikov.
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Sabine Ehrhardt und Christian Rüttger – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)