– von Rene Wagner und Reinhard Becker
Berlin (Reuters) – Neue Konjunkturdaten schüren die Sorge vor einer anhaltenden Flaute in Deutschland.
Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe schrumpfte im Juni um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Sie fiel damit auf das niedrigste Niveau seit den Anfängen der Corona-Pandemie vor gut fünf Jahren zurück. Zwar wuchsen die Exporte im Juni trotz eines zollbedingt schrumpfenden US-Geschäfts mit 0,8 Prozent etwas kräftiger als erwartet, weil die Nachfrage aus der EU und China anzog. Das reichte aber bei weitem nicht an das Importplus von 4,2 Prozent heran. Damit kamen zuletzt auch vom Außenhandel keine Wachstumsimpulse für Europas größte Volkswirtschaft.
“Angesichts der schwachen Auftragseingänge gibt es auch keinen Grund zur Hoffnung, dass die Industrie nach zwei Jahren Rezession bald aus der Flaute herauskommen wird”, sagte der Konjunkturexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Jupp Zenzen. Im zweiten Quartal schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt nach einem positiven Jahresauftakt um 0,1 Prozent. Ökonomen schließen einen Rückfall in eine Rezession nicht aus, nachdem das Neugeschäft der Industrie im Juni überraschend den zweiten Monat in Folge gesunken war – und zwar um 1,0 Prozent.
“Mit den aktuellen Zöllen dürfte es nun nicht besser werden”, sagte Ökonom Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Seit diesem Donnerstag gelten für EU-Exporte in die USA Zölle von 15 Prozent, davor lag der Basissatz bei zehn Prozent – vor Trumps Amtsantritt im Januar sogar nur im unteren einstelligen Bereich. Die meisten Exporte gingen im Juni zwar erneut in die Vereinigten Staaten. Dorthin wurden aber nur noch deutsche Waren im Wert von 11,8 Milliarden Euro verkauft, ein Minus von 2,1 Prozent zum Vormonat. “Das war der dritte Rückgang in Folge und der niedrigste Wert seit Februar 2022”, fanden die Statistiker heraus. Wegen höherer Zölle sind viele Exporte vorgezogen worden, nun fehlt diese Nachfrage entsprechend. “Wichtiger ist die wahrscheinliche langfristige Schwäche des US-Geschäfts”, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. So dürften die höheren Zölle die preisbereinigten Exporte in die USA in den kommenden zwei Jahren um 20 bis 25 Prozent fallen lassen.
HIDDEN CHAMPIONS ALS OPFER DER US-ZÖLLE?
“Der deutsche Mittelstand könnte ein Opfer der US-Zölle werden”, warnte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Viele dieser “Hidden Champions” – also weltweit führende Hersteller in Nischenbereichen – dürften mehr Schwierigkeiten haben, ihre Produktion zu verlagern als Großkonzerne. “Hinzu kommt der stärkere Euro-Wechselkurs – nicht nur gegenüber dem US-Dollar, sondern auch gegenüber vielen anderen Währungen”, sagte Brzeski. Auch das verteuert deutsche Waren im Ausland. “Daher erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass der Export bald wieder ein wesentlicher Wachstumstreiber für die deutsche Wirtschaft sein könnte”, sagte Brzeski.
Da auch der Konsum nach wie vor schwächelt, ruhen die Hoffnungen nun auf den geplanten milliardenschweren Investitionen der Politik. Die dürften das Wachstum aber erst im kommenden Jahr ankurbeln. Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer rechnet dann mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 1,4 Prozent. “Aber nur, weil die Bundesregierung ihre Ausgaben massiv erhöhen wird, ohne allerdings einen Neustart in der Wirtschaftspolitik zu wagen”, fügte er hinzu. Für das laufende Jahr rechnen Experten bestenfalls mit einem Mini-Wachstum, nachdem die Wirtschaft sowohl 2023 als auch 2024 geschrumpft ist.
Die sinkende Produktion im Juni ist vor allem auf die Rückgänge im Maschinenbau (-5,3 Prozent zum Vormonat), in der Pharmaindustrie (-11,0 Prozent) und in der Nahrungsmittelindustrie (-6,3 Prozent) zurückzuführen. Dagegen wuchs die Energieerzeugung um 3,1 Prozent, während die Bauproduktion um 0,7 Prozent zulegte.
“Die schwache Entwicklung der Industrieproduktion im zweiten Quartal dürfte teilweise Ausdruck einer Gegenbewegung zu den Vorzieheffekten im Zusammenhang mit den angekündigten Zollerhöhungen sein, die die wirtschaftliche Entwicklung im exportintensiven produzierenden Gewerbe zu Jahresbeginn positiv beeinflusst hatten”, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium.
(geschrieben von Rene Wagner, redigiert von Kerstin Dörr – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)