Genf (Reuters) – Hunderte Beschäftigte des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) haben ihren Chef Volker Türk aufgefordert, den Krieg im Gazastreifen ausdrücklich als Völkermord zu bezeichnen.
In einem am Mittwoch versandten Schreiben an den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, das Reuters vorliegt, heißt es, die rechtlichen Kriterien für einen Völkermord in dem fast zwei Jahre dauernden Krieg zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas seien erfüllt. Die Beschäftigten verweisen auf das Ausmaß, den Umfang und die Art der dokumentierten Verstöße gegen das Menschenrecht. “Das OHCHR hat eine starke rechtliche und moralische Verantwortung, Völkermord zu verurteilen”, heißt es in dem von mehr als 500 Beschäftigten unterzeichneten Brief. “Ein Versäumnis, einen sich anbahnenden Völkermord anzuprangern, untergräbt die Glaubwürdigkeit der UN und des Menschenrechtssystems selbst.”
Weiter wird in dem Schreiben ein moralisches Versagen der internationalen Organisation kritisiert, weil sie nicht mehr unternommen habe, um den Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 zu stoppen. Damals kamen mehr als eine Million Menschen ums Leben.
Israel hat den Vorwurf des Völkermords wiederholt zurückgewiesen und verweist auf sein Recht auf Selbstverteidigung nach dem überraschenden Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Dabei wurden israelischen Angaben zufolge 1200 Menschen getötet und 251 als Geiseln in das Palästinensergebiet verschleppt. Bei den darauf folgenden massiven Angriffen des israelischen Militärs auf den Gazastreifen wurden nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums fast 63.000 Menschen getötet – Männer, Frauen und Kinder.
Einige Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben Israel bereits des Völkermordes beschuldigt. Auch die unabhängige UN-Expertin Francesca Albanese hat den Begriff verwendet, nicht jedoch die Vereinten Nationen selbst. UN-Vertreter haben in der Vergangenheit erklärt, die Feststellung eines Völkermords sei Sache internationaler Gerichte. Im Jahr 2023 reichte Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof eine Klage gegen Israels wegen Völkermords ein. Doch der Fall wurde noch nicht in der Sache verhandelt – und ein Prozess kann Jahre dauern.
Eine Sprecherin des OHCHR sagte, die Lage im Gazastreifen habe alle “bis ins Mark erschüttert”. Sie verwies auf die schwierigen Umstände, mit denen das Büro bei der Dokumentation der Fakten und der Alarmierung konfrontiert sei. “Es gab und wird weiterhin interne Diskussionen darüber geben, wie es weitergehen soll”, sagte sie mit Bezug auf den Brief.
Türk selbst, der Israels Vorgehen wiederholt verurteilt hat, erklärte, der Brief der Beschäftigten werfe wichtige Bedenken auf. “Ich weiß, dass wir alle ein Gefühl moralischer Empörung über die Schrecken, die wir erleben, sowie Frustration angesichts der Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft, dieser Situation ein Ende zu setzen, teilen”, erklärte er in seiner Antwort, die Reuters als Kopie vorliegt. Türk rief die Mitarbeiter dazu auf, “angesichts solcher Widrigkeiten als Büro vereint zu bleiben”.
(Bericht von: Emma Farge; bearbeitet von Sabine Ehrhardt.; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)