WTO-Chefin warnt vor größter Störung der Handelsregeln seit 80 Jahren

Genf (Reuters) – Die Welthandelsorganisation (WTO) warnt vor der größten Störung des internationalen Handelssystems seit Jahrzehnten.

Der Anteil des unter den WTO-Regeln abgewickelten Welthandels sei auf aktuell 72 Prozent gefallen, sagte WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala am Dienstag in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. “Wir erleben die größte Störung der globalen Handelsregeln, die es in den letzten 80 Jahren gegeben hat”, sagte sie zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit an der Spitze der in Genf ansässigen Organisation. “Es ist daher nicht überraschend, dass einige das globale Handelssystem und seine Vorhersehbarkeit infrage stellen.”

WTO-Daten zufolge lag der Anteil des Welthandels, der zu den Bedingungen der Meistbegünstigungsklausel (MFN) abgewickelt wird, zuvor bei rund 80 Prozent. Der Rückgang begann demnach mit der Einführung von Zöllen durch die US-Regierung unter Präsident Donald Trump. Das Prinzip der Meistbegünstigung verpflichtet die WTO-Mitglieder, alle anderen Handelspartner gleich zu behandeln. “Solange der Großteil des Handels zu MFN-Bedingungen stattfindet, sollten wir das feiern”, sagte Okonjo-Iweala. “Wir sind weit von 50 Prozent entfernt.”

Okonjo-Iweala sagte zudem voraus, dass die vollen Auswirkungen der Zölle auf den Welthandel erst später zu spüren sein dürften – etwa im kommenden Jahr. Der jüngste Anstieg des Handelsvolumens sei durch das Vorziehen von Warenlieferungen in der ersten Jahreshälfte bedingt, um die US-Zölle noch zu umgehen, und lasse nun allmählich nach. Dies hatte die WTO im August dazu veranlasst, ihre Wachstumsprognose für den Welthandel im laufenden Jahr von 0,2 auf 0,9 Prozent anzuheben. “Möglicherweise werden wir später weitere Auswirkungen sehen, wenn die Lagerbestände aufgebraucht sind”, sagte die WTO-Chefin.

(Bericht von Olivia Le Poidevin und Emma Farge, geschrieben von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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