– von Andreas Rinke und Markus Wacket
Berlin (Reuters) – Nach tagelangen Dissonanzen über Sozialstaats-Reformen und Steuererhöhungen haben die Spitzen den Zusammenhalt der schwarz-roten Koalition beschworen.
Kanzler Friedrich Merz beteuerte am Mittwochabend, dass er den Sozialstaat trotz nötiger Reformen beim Bürgergeld nicht schleifen wolle. “Man muss mich hier nicht zum Jagen tragen, sondern ich glaube, es ist jetzt auch eine gemeinsame Chance darüber nachzudenken, wie wir auch unsere Sozialversicherungssysteme auf sichere Füße stellen, auch für die nächsten Generationen”, betonte die SPD-Co-Vorsitzende und Arbeitsministerin Bärbel Bas. Beide erklärten wie auch SPD-Co-Chef Lars Klingbeil und CSU-Chef Markus Söder, wie wichtig es sei, die angeschlagene Stahl- und die Autobranche zu Gipfeltreffen einzuladen.
Das Quartett hatte die Koalitionsausschuss-Sitzung nach zwei Stunden unterbrochen, um gemeinsam vor die Presse zu treten. Ein Papier mit Beschlüssen wurde nicht präsentiert. Allen vier ging es aber sichtlich darum, zu demonstrieren, dass man gewillt ist, die Regierung zum Erfolg zu führen. Hintergrund ist auch, dass laut neuem ARD-Deutschlandtrend die Zufriedenheit mit der Regierung einen neuen Tiefpunkt erreicht hat.
Merz verwies auf die Fülle von Beschlüssen, die Union und SPD bereits umgesetzt hätten – auch im Kabinett am Mittwoch. Die Erfolgsbilanz sei durch eigene Fehler wie die verschobene Wahl eines Verfassungsrichters oder mangelnde Kommunikation bei der Senkung der Stromsteuer überschattet worden. Die Koalition habe aber die meisten Projekte aus ihrem Sofortprogramm umgesetzt und wolle nun die Reform der Sozialsysteme angehen. “Wir werden heute Abend auch über ein paar Maßnahmen sprechen, die die Pflegeversicherung und die Krankenversicherung betreffen”, kündigte der Kanzler an.
Finanzminister Klingbeil sagte, dass man sich verabredet habe, bald ein Investitionsbeschleunigungsgesetz ins Kabinett einzubringen. Damit soll sichergestellt werden, dass die 500 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen Infrastruktur schnell abfließen können. Das “Zauberwort” heiße dabei, dass man “mehr oder weniger die gesamte Infrastruktur zum überragenden öffentlichen Interesse erkläre, sagte Kanzler Merz. Damit lassen sich die Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzen.
Klingbeil verwies auf Lücke im Haushalt 2027, über die man ebenfalls sprechen werde. In der “Zeit” hatte er sich zu weitreichenden Reformen bekannt. “Schröder hat mutige Reformen angepackt”, sagte der SPD-Co-Vorsitzende in Anspielung auf die Agenda 2010-Reformen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder.
Das Thema Steuerhöhungen sei nicht angesprochen worden, betonte der Kanzler. Auch Merz räumte Probleme bei der Haushaltsfinanzierung der kommenden Jahre ein. Man müsse der Bevölkerung vermitteln, “warum wir trotz der hohen Investitionen in die Verteidigung und in die Infrastruktur einen erheblichen Konsolidierungsbedarf in den öffentlichen Haushalten haben”, sagte er.
NEUS VERHÄLTNIS MERZ UND BAS
Merz und Arbeitsministerin Bas hatten sich bereits am Dienstagabend zu einem Vieraugengespräch getroffen. Zuvor hatte es tagelang Dissonanzen gegeben, die beide nun für beendet erklärten. “Wir sind uns einig, dass wir den Sozialstaat erhalten. Wir wollen ihn nicht schleifen, abschaffen oder kürzen”, betonte der CDU-Vorsitzende nun.
CSU-Chef Söder verwies darauf, dass sich Merz und Bas nun sogar duzten – was er aber nicht wolle. Sie habe mit Merz besprochen, wo man sich aufeinander zu bewegen könne und wo es noch Streitpunkte gebe, sagte die SPD-Chefin. “Und mit dem Prozess haben wir jetzt begonnen und insofern war das wirklich ein klärendes Gespräch, aber auch ein sehr gutes und dann haben wir auch ein nettes.”
Konkrete Lösungen etwa für die Reform des Bürgergelds oder die Lücken im Haushalt 2027 gab es noch nicht. Während Merz am Dienstag gesagt hatte, dass man zehn Prozent der Bürgergeld-Ausgaben von rund 50 Milliarden Euro einsparen wolle, betonte Arbeitsministerin Bas zwar Reformbereitschaft, verwies aber auch auf den schwächelnden Arbeitsmarkt. “Wenn es uns gelingt, (…) 100.000 Menschen mehr auf den Arbeitsmarkt zu bekommen, dann macht das schon ein bis zwei Milliarden aus”, betonte sie angesichts der gestiegenen Arbeitslosenzahl auf mehr als drei Millionen Menschen.
(Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)