Regierung in Paris gestürzt – Macron sucht neuen Ministerpräsidenten

– von Charlotte Van Campenhout und Elizabeth Pineau

Paris (Reuters) – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron muss sich erneut einen neuen Regierungschef suchen.

Sein erst vor neun Monaten angetretener Ministerpräsident Francois Bayrou verlor am Montag wie erwartet eine Vertrauensfrage, die er selbst im Streit über die Haushaltspolitik des stark defizitären Euro-Landes gestellt hatte. Er werde seinen Rücktritt am Dienstagmorgen einreichen, teilte Bayrous Büro mit. Der Sturz des 74-Jährigen dürfte Frankreich noch tiefer in die Krise treiben. Der Elysee-Palast kündigte die Ernennung eines neuen Regierungschefs binnen Tagen an – es wäre der fünfte in weniger als zwei Jahren. Aus der Opposition kamen Rufe nach einem Rücktritt auch Macrons.

Schon eine längere Phase der politischen Unsicherheit könnte Macrons Einfluss in Europa zu einer kritischen Zeit untergraben. Schließlich bekommt die EU derzeit die härtere Gangart der USA in Handels- und Sicherheitsfragen zu spüren, während jüngste Friedensbemühungen für die Ukraine keine greifbaren Ergebnisse gebracht haben. Auch an den Finanzmärkten wächst die Sorge angesichts der Verwerfungen in Frankreich, der nach Deutschland zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. Am Montagabend allerdings hielten sich die Ausschläge an den Märkten in engen Grenzen – auch weil Bayrous Scheitern nicht überraschend kam.

Der in der politischen Mitte angesiedelte Bayrou hatte den Posten des Regierungschefs von dem konservativen Politiker Michel Barnier übernommen und stand an der Spitze einer Minderheitsregierung. Überraschend hatte Bayrou vor kurzem eine Vertrauensfrage angekündigt, die er nun angesichts der Mehrheitsverhältnisse wie erwartet verlor. Die Opposition hatte deutlich gemacht, dass sie Bayrous Plan nicht mittragen wolle, im kommenden Haushalt 44 Milliarden Euro einzusparen. Schließlich stimmten am Montagabend 364 Abgeordnete gegen Bayrou, nur 194 stellten sich hinter den Politik-Veteranen.

NÄCHSTER ANLAUF MIT VERTRETER DER LINKEN?

Für Macron schwinden die Optionen. Er könnte zwar erneut Politiker aus seinem Lager der politischen Mitte ins Rennen schicken, das aber in der Nationalversammlung über keine Mehrheit verfügt. Auch könnte er es noch einmal mit einem Vertreter oder einer Vertreterin der Konservativen versuchen. Doch diese Strategie hat ihm bisher keine stabile Mehrheit im Parlament verschafft. Deshalb gehen Beobachter davon aus, dass Macron sich möglicherweise eher dem linken Parlamentsspektrum zuwenden könnte. Auch ein Experte ohne größeres politisches Gewicht wäre eine Möglichkeit.

Beim Regierungssturz 2024 hatte Macron das Parlament aufgelöst. Doch die vorgezogene Neuwahl hatte zu einer noch tieferen Spaltung der Nationalversammlung geführt und die politische Krise Frankreichs verschärft. Macron hat Forderungen der extrem rechten und linken Parteien – Rassemblement National und Unbeugsames Frankreich (“La France Insoumise”) – nach Auflösung des Parlaments zurückgewiesen.

Marine Le Pen vom Rassemblement National erneuerte die Forderung unmittelbar nach Bayrous Schlappe. “Dieser Moment markiert das Ende des Todeskampfs einer Phantomregierung”, sagte die rechtsextreme Politikerin. Der Chef von Unbeugsames Frankreich, Jean-Luc Mélenchon, ging noch weiter: “Macron steht nun an vorderster Front dem Volk gegenüber. Auch er muss gehen”.

Eine Mehrheit für die nächste Regierung erscheint angesichts der Spaltung der Nationalversammlung höchst unwahrscheinlich. Traditionell spielen Koalitionen und Parteienbündnisse in Frankreich eine geringere Rolle als etwa in Deutschland.

Finanzminister Eric Lombard sagte vor der Abstimmung, eine neue Regierungsbildung werde unweigerlich dazu führen, dass die Pläne zur Reduzierung des Haushaltsdefizits entschärft werden müssten. Frankreich steht unter großem Druck, seine Finanzen zu sanieren: Im vergangenen Jahr erreichte das Haushaltsdefizit fast das Doppelte des EU-Limits von drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch die Staatsverschuldung ist hoch.

“SELBST KLEINSTE SPARMASSNAHMEN NICHT MEHRHEITSFÄHIG”

“Die Kapitalmärkte begleiten die Entwicklungen in Frankreich seit geraumer Zeit kritisch”, erklärte Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der DekaBank. “Die gescheiterte Vertrauensfrage stellt den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung dar, welche die Reformunfähigkeit von Frankreich bestätigt und zeigt, dass selbst kleinste Sparmaßnahmen nicht mehrheitsfähig sind.”

Wenig Zuversicht für die kommenden Monate zeigte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank: “Aufgrund der zersplitterten politischen Landschaft wird die von Emmanuel Macron gewünschte und notwendige Budgetkonsolidierung bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 nicht gelingen.” Die Finanzmärkte werteten Frankreich bislang aber nicht als systemisches Risiko für die gesamte Eurozone. Am Freitag steht den französischen Märkten eine weitere Bewährungsprobe bevor: Dann überprüft die Ratingagentur Fitch ihre Bewertung für Frankreich von “AA-” mit negativem Ausblick.

Noch kurz vor der Abstimmung hatte Bayrou die Abgeordneten eindringlich gewarnt. “Sie haben die Macht, die Regierung zu stürzen, aber Sie haben nicht die Macht, die Realität auszulöschen”, sagte er. Die schon jetzt kaum tragbare Schuldenlast werde noch größer werden. “Das Überleben Frankreichs steht auf dem Spiel.” 

Aus der Politik in Deutschland kamen erste Reaktionen von der CDU: “Die aktuelle politische Krise in Frankreich zeigt, wie schnell sich eine Mixtur aus steigender Staatsverschuldung, hohen Defiziten und verschleppten Reformen zu einer Vertrauenskrise entwickeln kann”, erklärte der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger.

(Unter Mitarbeit von Dominique Vidalon, Richard Lough, Tassilo Hummel und Lucien Libert. Geschrieben von Elke Ahlswede, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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