Brüssel/Berlin (Reuters) – Die Europäische Kommission will den EU-Mitgliedstaaten neue Sanktionen gegen Israel vorschlagen und bilaterale Zahlungen an den jüdischen Staat aussetzen.
Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament in Straßburg an. Bundesaußenminister Johann Wadephul äußerte sich in Berlin verhalten zu dem Brüsseler Vorstoß, der offensichtlich nicht mit der Bundesregierung abgestimmt war.
“Was in Gaza geschieht, hat das Gewissen der Welt erschüttert”, sagte von der Leyen. Daher werde die Kommission Sanktionen gegen einige extremistische israelische Minister und gewaltbereite jüdische Siedler im Westjordanland sowie eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel vorschlagen. Sie räumte Meinungsverschiedenheiten innerhalb Europas über das weitere Vorgehen ein und versprach, die Kommission werde tun, was sie allein tun könne. In diesem Zusammenhang kündigte von der Leyen an, die bilaterale Unterstützung für Israel auszusetzen. Die Zusammenarbeit mit der israelischen Zivilgesellschaft und der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem sei davon jedoch nicht betroffen.
Wadephul sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem niederländischen Außenminister David van Weel im Auswärtigen Amt, die Bundesregierung habe die Aussagen von der Leyens zur Kenntnis genommen. Von der Leyen habe angekündigt, jetzt den Dialog mit den EU-Mitgliedstaaten zu suchen, und Deutschland werde sich an diesem Dialog beteiligen. Das Vorgehen Israels im Gazastreifen und der Angriff auf die Hamas in Doha seien nicht akzeptabel. Es müsse jetzt umgehend zu einem Waffenstillstand kommen, sagte Wadephul.
Bislang hat die Bundesregierung Sanktionen gegen Israel kategorisch ausgeschlossen – allerdings einen Stopp der Genehmigungen von Waffenausfuhren verhängt, die im Gaza-Krieg eingesetzt werden können. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte zudem den israelischen Angriff in Katar auf dort lebende Hamas-Funktionäre als völlig “inakzeptabel” bezeichnet.
DIPLOMATEN: DEUTSCHLAND HAT SCHLÜSSELROLLE
Der niederländische Außenminister van Weel betonte, seine Regierung unterstütze das Recht Israels zur Selbstverteidigung. Die Lage im Gazastreifen und auch im Westjordanland sei derzeit allerdings sehr düster. Die Europäische Union müsse nun eine “angemessene Antwort” finden. EU-Diplomaten zufolge ist in der Frage die Haltung Deutschlands entscheidend. Eine Entscheidung für EU-Sanktionen gegen Israel müsste eine qualifizierte Mehrheit der EU-Regierungen finden. Eine solche Mehrheit wird mit der Unterstützung von 15 der 27 Mitgliedstaaten erreicht, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Dies gilt als schwer zu erreichende Hürde. “Bisher hat es im Europäischen Rat zu diesen Fragen keine Mehrheit gegeben”, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille auf die Frage, ob Deutschland seine Meinung ändern könnte.
Die Aussetzung des Handelskapitels im Assoziierungsabkommen der EU mit Israel würde den erleichterten Zugang israelischer Produkte zum EU-Markt aufheben. Die EU ist der größte Handelspartner Israels und machte im vergangenen Jahr fast ein Drittel des gesamten internationalen Warenhandels des Landes aus. Von der Leyen kündigte zudem an, im kommenden Monat eine Gebergruppe für Palästina einzurichten, die auch ein Instrument für den Wiederaufbau des Gazastreifens umfassen soll.
(Bericht von Lili Bayer und Andrew Gray in Brüssel, Alexander Ratz und Andreas Rinke in Berlin; Redigiert von Sabine Ehrhardt; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)