Anleger in Europa ziehen vor Fed-Entscheid die Köpfe ein

Frankfurt (Reuters) – Auch Rekord-Vorgaben von der Wall Street können die Anleger an den europäischen Aktienmärkten nicht mitreißen.

Während die Aussicht auf sinkende Zinsen die US-Börsen von Rekord zu Rekord treibt, hat der deutsche Leitindex Dax am Dienstag bis zum Mittag um ein halbes Prozent auf bis zu 23.605 Punkte eingebüßt. Der EuroStoxx50 gab 0,3 Prozent auf 5425 Zähler nach. In New York hatten sowohl der S&P500 als auch der Nasdaq-Index zum Wochenanfang frische Rekordmarken aufgestellt. “Eine Mischung aus Zins- und KI-Fantasie trieb die US-Aktienmärkte gestern auf neue Hochs”, sagten Analysten der Landesbank Baden-Württemberg.

Auf beiden Seiten des Atlantiks trieb Börsianer vor allem die künftige Zinsentwicklung um. Es gilt als ausgemachte Sache, dass die US-Notenbank Fed am Mittwoch eine Zinssenkung um einen viertel Prozentpunkt verkünden wird. Dagegen wurde in Europa Analysten zufolge nicht mit einem schnellen Zinsschritt gerechnet. “Den Märkten wird wahrscheinlich klar, dass es keine weiteren Zinssenkungen durch die EZB geben wird, und das macht die Erwartungen, dass die Fed ihren Lockerungskurs wieder aufnimmt, wett”, sagte James Rossiter, Stratege bei TD Securities in London. An den Finanzmärkten wird derzeit nur noch eine 40-prozentige Chance eingepreist, dass die EZB die Zinsen bis Juni 2026 um 25 Basispunkte senkt. Vergangene Woche wurde die Wahrscheinlichkeit noch bei etwa 50 Prozent gesehen.

BANKEN UND VERSICHERUNGEN UNTER DRUCK

Auf den Verkaufszetteln standen vor allem Finanztitel. Die zinssensitiven europäischen Branchenindizes von Banken und Versicherern gaben jeweils rund ein Prozent nach. Investoren zogen Analysten zufolge vor der Entscheidung der US-Notenbank zur Geldpolitik die Köpfe ein. Die Titel der Deutschen Bank und der Commerzbank gaben in der Spitze jeweils rund zwei Prozent nach.

Die Zinssenkungswetten verstärkten auch den Druck auf den Dollar, der zum Euro auf den niedrigsten Stand seit zweieinhalb Monaten fiel. Gegenüber einem Währungskorb gab die US-Währung um 0,4 Prozent auf 96,9620 Punkte nach. Der Euro legte zum Dollar um ein halbes Prozent auf 1,1817 Dollar zu. Mittlerweile wird am Markt auf eine ganze Reihe von Zinssenkungen der Fed gewettet. Auch eine deutliche Senkung um 50 Basispunkte schon am Mittwoch gilt als nicht ausgeschlossen. Im weiteren Jahresverlauf erwarten Marktteilnehmer eine Senkung um durchschnittlich 67 Basispunkte.

Die Zinsspekulationen und der schwächere Dollar trieben dagegen den Goldpreis auf eine neue Höchstmarke. Das Edelmetall verteuerte sich in der Spitze um 0,5 Prozent auf knapp 3699 Dollar je Feinunze und ist damit so teuer wie noch nie. “Die Stimmung ist sehr optimistisch”, sagte Capital.com-Analyst Kyle Rodda. “Die Aussichten für Gold bleiben kurz- bis mittelfristig gut.” Gold hat in diesem Jahr rund 40 Prozent zugelegt, nach einem Anstieg von 27 Prozent im vergangenen Jahr.

ENTTÄUSCHUNGSPOTENZIAL HOCH

Die überraschend schwachen Daten vom US-Arbeitsmarkt hatten zuletzt die Zinsspekulationen hochkochen lassen. Es gebe zunehmend die Ansicht, dass die Fed hinter der Entwicklung zurückliege und die Dringlichkeit erhöhen müsse, die Zinsen auf neutral zu senken, sagte Chris Weston von Pepperstone. Angesichts der Zinswetten fürchteten Börsianer allerdings auch eine Enttäuschung. Es werde schwierig sein, die Markterwartungen zu übertreffen, sagte Paul Mackel, Devisenexperte bei HSBC. Vorübergehend bestehe das Risiko eines Aufwärtsdrucks beim Dollar. “Dies dürfte eine der seit längerem am stärksten umstrittenen Sitzungen des Offenmarktausschusses der Fed sein, mit Meinungsverschiedenheiten in beide Richtungen, wobei einige Ausschussmitglieder für eine stärkere Senkung um 50 Basispunkte stimmen könnten und auch eine Beibehaltung der Zinsen möglich wäre”, sagte Blerina Uruci, US-Chefvolkswirtin bei T. Rowe Price.

Selbst eine Senkung um 50 Basispunkte, die einige Händler für möglich halten, könnte am Aktienmarkt negativ aufgefasst werden, sagten Experten. “Sollte die Fed die Zinsen um 50 Basispunkte senken, könnte dies so interpretiert werden, dass die Lage schlechter ist als gedacht”, sagte etwa Rebecca Chesworth, Aktienstrategin bei State Street Investment Management. Der Markt könne dies in beide Richtungen deuten.

(Bericht von Stefanie Geiger, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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