Bundesbank-Chef für vorsichtiges Vorgehen in der Zinspolitik

Frankfurt (Reuters) – Bundesbank-Präsident Joachim Nagel plädiert dafür, auch künftig in der Zinspolitik datenabhängig und von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden.

Er halte die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom vergangenen Donnerstag mit Blick auf das Inflationsbild für richtig, die Zinsen konstant zu halten, führte Nagel am Mittwoch beim Harvard Club Rhein-Main in Frankfurt laut Redetext aus. “Wir sind gut beraten, angesichts der Unsicherheiten weiterhin vorsichtig zu bleiben”, sagte er. Der Ansatz der EZB, datenabhängig und von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden, habe sich bewährt. “Mit der aktuellen geldpolitischen Ausrichtung sind wir gut positioniert, um auf unerwartete Veränderungen reagieren zu können”, ergänzte er.

Die EZB hatte vorige Woche auf ihrer ersten Zinssitzung nach der Sommerpause wie im Juli die Füße stillgehalten. Die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde ließen den Leitzins im Euro-Raum, also den Einlagesatz, bei 2,0 Prozent. Die Inflation ist mittlerweile eingedämmt: Sie lag in der 20-Länder-Gemeinschaft im August wie schon im Juli und Juni bei 2,0 Prozent. Das ist genau die Marke, die die EZB als optimal für die Wirtschaft anstrebt. Für das Gesamtjahr erwarten deren Volkswirte im Durchschnitt eine Inflation von 2,1 Prozent. Für 2026 und 2027 erwarten sie 1,7 Prozent beziehungsweise 1,9 Prozent Inflation.

Zu den politischen Attacken von US-Präsident Donald Trump gegen die unabhängige US-Notenbank und deren Chef Jerome Powell sagte Nagel, er beobachte mit besonders großer Sorge, wie derzeit mit der amerikanischen Zentralbank umgegangen werde. “Dass ihre Leitung diskreditiert und diffamiert wird und die Unabhängigkeit der Institution unverblümt infrage gestellt wird”, sagte er. Würde die Unabhängigkeit der Fed politisch nachhaltig untergraben, hätte dies Nagel zufolge schwerwiegende Folgen. “Dies würde die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität und den Wohlstand der USA gefährden.”

Kurzsichtige Politiker in anderen Ländern könnten zudem dazu verleitet werden, ihre unabhängigen Zentralbanken unter Druck zu setzen, die Zinsen stärker zu senken, als es aus stabilitätsorientierter Perspektive geboten sei, warnte Nagel. “Etwa für ein konjunkturelles Strohfeuer oder um einen hoch verschuldeten Staat fiskalisch zu entlasten”, führte er aus. Zuvor hatte bereits EZB-Vizechef Luis de Guindos die Bedeutung unabhängiger Notenbanken in einem Interview mit der Zeitung “Die Welt” hervorgehoben. Eine unabhängige Zentralbank sei der beste Schutz vor hoher Inflation, sagte der Stellvertreter von EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

Trump übt seit langem Druck auf die Fed aus, die Zinsen deutlich zu senken und hat Notenbankchef Powell wiederholt scharf kritisiert. Zudem versucht er, Notenbank-Gouverneurin Lisa Cook wegen mutmaßlichen Hypothekenbetrugs zu entlassen. Cook wehrt sich allerdings gerichtlich dagegen – bislang erfolgreich. Trump will die Zusammensetzung der Fed-Führung ändern, damit sie eine Zinspolitik in seinem Sinne betreibt. Sollte die Federal Reserve tatsächlich ihre Unabhängigkeit verlieren, rechnen Experten mit gravierenden Folgen für das weltweite Finanzsystem.

(Bericht von Frank Siebelt, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

tagreuters.com2025binary_LYNXNPEL8H068-VIEWIMAGE