Frankreich findet nicht aus Regierungskrise: Ruf nach Macrons Rücktritt wird lauter

Paris (Reuters) – Angesichts der tiefen Regierungskrise in Frankreich gerät Präsident Emmanuel Macron immer stärker unter Druck. Der frühere Ministerpräsident Edouard Philippe preschte am Dienstag mit der Forderung vor, Neuwahlen für den Posten des Staatschefs abzuhalten, obwohl Macron noch regulär bis 2027 im Amt ist. “Er ist das Staatsoberhaupt, er ist der Garant der Institutionen, und er hat sich durch Entscheidungen zum falschen Zeitpunkt in diese Situation gebracht”, kritisierte der einstige Vertraute Macrons im Sender RTL. Der Politiker war während der ersten Amtszeit Macrons als Präsident zwischen 2017 und 2020 Regierungschef. Der Hausherr im Elysee-Palast setzt nach dem überraschenden Rücktritt seines Ministerpräsidenten Sebastien Lecornu unterdessen vorerst weiter auf den 39-Jährigen. Er beauftragte ihn, bis Mittwochabend einen letzten Anlauf für Gespräche mit anderen Parteien zu unternehmen.

Ziel sei es, einen Weg zur Stabilisierung des Landes zu entwickeln. Seit Macrons Wiederwahl 2022 ist die politische Lage von Instabilität geprägt, die Macron mit der von ihm 2024 angesetzten vorgezogenen Parlamentswahl verstärkte: Seither ist das Parlament stärker zersplittert. Da sich die politischen Lager zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen, ist die Bildung einer Regierung in der polarisierten politischen Landschaft erschwert. Die Bildung von Koalitionen, wie sie in Deutschland gelebte politische Praxis ist, ist in Frankreich weitgehend unerprobt. Macron hat versucht, sich mit Minderheitsregierungen durchzulavieren.

Lecornu, der nach seinem Rücktritt noch die laufenden Regierungsgeschäfte verantwortet, nahm Macrons Auftrag an. Er werde dem Präsidenten bis Mittwochabend berichten, ob er Erfolg habe oder nicht. Dann könne der Präsident angemessene Schlüsse daraus ziehen. Fast die Hälfte der Franzosen macht Macron für die aktuelle Krise verantwortlich, während 51 Prozent von ihnen glauben, dass sein Rücktritt die Pattsituation beenden könnte, wie aus einer Umfrage des Senders BFMTV hervorgeht. Lecornu ist bereits der fünfte Regierungschef in weniger als zwei Jahren. Nach Vorstellung seines Teams zu Wochenbeginn hatten nicht nur Gegner, sondern auch Verbündete umgehend damit gedroht, die Regierung zu stürzen.

Macron hofft offenbar, dass Lecornu die Konservativen doch noch zurück an den Verhandlungstisch bringen und die Krise so entschärfen kann. Eine andere Option wäre es, einen linksgerichteten Ministerpräsidenten zu ernennen. Doch das Beharren der Sozialisten auf einer Vermögenssteuer und einer Rücknahme der Rentenreform, Macrons gegen Widerstände durchgeboxtes Prestigeprojekt, gelten als großes Hindernis.

“DER KÖNIG IST NACKT”

Sollte die Mission Lecornus endgültig scheitern, kann Macron das Parlament auflösen und eine Neuwahl ansetzen oder aber zurücktreten oder einen neuen Ministerpräsidenten ernennen. Einen Rücktritt hat er in den vergangenen Monaten wiederholt ausgeschlossen. Der Chef der Rechtsaußen-Partei RN, Jordan Bardella, sagte, er sei angesichts der verfahrenen Lage dafür, dass Macron das Parlament auflöse und Neuwahlen ausschreibe. Danach sollten auch vorgezogene Präsidentschaftswahlen abgehalten werden.

Auch aus der Linkspartei Unbeugsames Frankreich wurde Macron erneut zum Rücktritt aufgefordert: “Der König ist nackt. Es ist Zeit für Emmanuel Macron, zurückzutreten und das souveräne Volk über die Zukunft des Landes zu entscheiden”, schrieb Partei-Koordinator Manuel Bompard auf der Online-Plattform X.

Die lange währende Regierungskrise in der zweitgrößten Volkswirtschaft des Euroraums hat die EZB bislang nicht auf den Plan gerufen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde verwies am Montagabend bei einer Anhörung vor dem Europäischen Parlament in Straßburg nur darauf, dass man “unterschiedliche Instrumente” im Werkzeugkasten habe. Diese würden angewendet, wenn bestimmte Bedingungen gegeben und Kriterien erfüllt seien: “Darüber haben wir aber jetzt in letzter Zeit im EZB-Rat nicht diskutiert”, betonte sie. Die EZB hat mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) ein Notprogramm in der Hinterhand, mit dem sie theoretisch unbegrenzt Staatsanleihen eines in Bedrängnis geratenen Euro-Landes kaufen kann. Französische Aktien hielten sich am Dienstag stabil, nachdem der französische Leitindex zu Wochenbeginn zeitweise mehr als zwei Prozent nachgegeben hatte.

(Bericht von Inti Landauro, Bertrand Boucey and Nicolas Delame, Blandine Hénault, geschrieben von Reinhard Becker, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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