Berlin (Reuters) – In der Sozialstaatsdebatte werden die Ausgabensteigerungen etwa für Arbeitslose und Renten nach Einschätzung des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts IMK vielfach übertrieben dargestellt.
Die Ausgaben für beide Sozialversicherungen seien gemessen an der Wirtschaftsleistung niedriger als früher, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Reformen sollten sich stattdessen auf das Gesundheitssystem konzentrieren, schreiben die Autoren. “Wir brauchen mehr realistische Analyse, weniger Alarmismus”, sagte IMK-Direktor Sebastian Dullien.
Tatsächlich seien die Ausgaben für die Rentenversicherung relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den vergangenen 20 Jahren von 10,4 auf 9,4 Prozent gesunken. Die Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung gingen im selben Zeitraum von 2,3 auf 0,9 Prozent des BIP zurück. Auch die Ausgaben für Bürgergeld, Eingliederungshilfen und Sozialhilfe hätten sich relativ zum BIP seit 2010 sogar leicht von 2,8 auf 2,7 Prozent verringert. Dies sei bemerkenswert, da in diesem Zeitraum Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien. Der jüngste Anstieg der gesamten Sozialleistungsquote auf 31,0 Prozent 2024 beruhe nicht auf ausufernden Ausgaben, sondern auf der Rezession. Wenn die Wirtschaftsleistung schrumpfe, erhöhten selbst konstante Sozialleistungen die Sozialleistungsquote.
Gestiegen seien allerdings die Ausgabenquoten bei der Kinder- und Jugendhilfe sowie bei der Pflegeversicherung. Grund dafür seien jedoch politisch gewollte Entscheidungen wie der Ausbau der Kinderbetreuung. Wirklichen Reformbedarf sehen die Forscher dagegen im Gesundheitssystem. Hier seien die Kosten im internationalen Vergleich sehr hoch, während der Gesundheitszustand der Bevölkerung nur mittelmäßig sei. Die Autoren warnen vor Vorschlägen wie Gebühren für Arztbesuche. Diese könnten dazu führen, dass Menschen aus Kostengründen notwendige Behandlungen aufschöben, was am Ende höhere Krankheitskosten verursachen könne.
(Bericht von Holger Hansen, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)