– von Andreas Rinke und Christian Krämer –
Berlin, 09. Okt (Reuters) – Straßenbau, Aktivrente und Bürgergeld-Reform: Nach gut achtstündigen Verhandlungen hat sich die schwarz-rote Bundesregierung auf ein Reformpaket geeinigt.
Beim nächtlichen Koalitionsausschuss kamen die Partei- und Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD überein, dass jetzt mit zusätzlichen drei Milliarden Euro alle baureifen Verkehrsprojekte in Angriff genommen werden können.
“Wenn sich nach zwei Jahren herausstellen sollte, dass dort Geld fehlt, dann werden wir das noch mal besprechen”, sagte Kanzler Friedrich Merz in der gemeinsamen Pressekonferenz der Parteichefs. Er lobte eine gute Atmosphäre der Gespräche mit der SPD. Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil fügte hinzu: “Es gibt keine Gründe mehr, nicht zu bauen.” Erste Reaktionen aus der Wirtschaft waren positiv. “Endlich geht es voran”, sagte der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura.
HILFE FÜR BAU- UND AUTOBRANCHE
Klingbeil und CSU-Chef Söder betonten, dass Irritationen beseitigt seien. Dabei war der Eindruck entstanden, dass trotz einer Rekordschuldenaufnahme für Infrastruktur-Investitionen baureife Projekte nicht angegangen werden könnten. Dies hatte vor allem in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Verärgerung gesorgt. Nun werden drei Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds, die für Mikroelektronik vorgesehen waren, umgeschichtet. Zudem bekommen baureife Projekte Vorrang. Söder verwies darauf, dass mit dem verabredeten Planungsbeschleunigungsgesetz auch weitere Vorhaben schneller baureif würden.
Verkehrsminister Patrick Schnieder hatte ursprünglich von fehlenden 15 Milliarden Euro gesprochen. Klingbeil und Merz verwiesen darauf, dass dieser Betrag durch eine Überprüfung auf 4,7 Milliarden Euro zusammengeschrumpft sei. Mit der nun getroffenen Vereinbarung und der Überprüfungsklausel könne man den Bau aller Vorhaben sicherstellen.
Die Regierung geht zudem mit dem Beschluss in den am Mittag beginnenden Autogipfel mit den Konzernen und Zulieferern, dass drei Milliarden Euro für ein soziales E-Mobilitätsprogramm ausgegeben werden sollten. Dies soll auch Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen ermöglichen, auf E-Autos umzusteigen.
Dagegen wurde keine feste Formulierung vereinbart, ob die Regierung die EU-Regeln kippen will, wonach ab 2035 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden sollen. Merz, der sich für eine Korrektur des sogenannten Verbrennerverbotes ausgesprochen hatte, begründete dies damit, dass man erst mit der Autobranche sprechen und die Vorschläge der EU-Kommission im Dezember abwarten wolle. Hintergrund sei auch, dass Autokonzerne und Betriebsräte unterschiedliche Positionen zu dem Thema einnähmen, hieß es in Regierungskreisen.
Klingbeil betonte, man sei sich in der Regierung grundsätzlich einig: “Wir brauchen mehr Flexibilität, wir brauchen Technologieoptionen auf dem Weg bis 2035 und nach 2035, und das wollen wir auch ermöglichen.” Die SPD erwartet im Gegenzug beim Autogipfel Standort- und Jobgarantien für Deutschland. Umweltminister Carsten Schneider und SPD-Linke lehnen eine Änderung beim Verbrenner-Aus ab.
DURCHBRUCH BEI BÜRGERGELD UND AKTIVRENTE
Die Koalitionsspitzen räumten auch bei zwei anderen Themen ihre Differenzen ab: Die Aktivrente soll ältere Arbeitnehmer zur freiwilligen Arbeit über das Renteneintrittsalter hinaus anregen. Diese soll zum 1. Januar in Kraft treten. Die Frühstartrente soll erst im kommenden Jahr umgesetzt werden, aber rückwirkend zum 1. Januar gelten. Dabei soll der Staat schon für Kinder und Jugendliche Geld ansparen, das später für die Rente genutzt werden soll. Söder sprach von einem umfassenden Rentenpaket, zu dem auch die bereits beschlossene Erhöhung der Mütterrente zähle.
Die Koalitionsspitzen verständigten sich auch auf Eckpunkte für die Reform des Bürgergelds, das künftig Grundsicherung heißen soll. So sollen Bezieher der staatlichen Leistung dazu gebracht werden, bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt mitzuwirken. Bei einer Verweigerung soll die Leistung komplett gestrichen werden können – allerdings erst nach mehreren nicht wahrgenommenen Terminen bei den Jobcentern. Man sei an die Grenze dessen gegangen, was verfassungsrechtlich möglich sei, betonte Arbeitsministerin und SPD-Co-Chefin Bärbel Bas. Dies könne sie auch gegenüber ihrer Partei verantworten. Söder betonte: “Das Kapitel Bürgergeld ist in der Form beendet.”
(Bericht von Andreas Rinke, Christian Krämer und Holger Hansen; redigiert von Thomas Seythal)