Koalition will EU-Regel zum Verbrenner-Aus 2035 lockern

Berlin/Frankfurt (Reuters) – Die Bundesregierung will für die von Industrie und Gewerkschaft geforderte Lockerung der Klimavorschriften für Autos in der Europäischen Union eintreten.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) zeigten sich nach dem Autogipfel mit Branchenvertretern in Berlin einig darüber, für eine Zukunft von Hybridantrieben mit Verbrennungsmotoren über 2035 hinaus einzutreten. Ein Aus für konventionelle, klimaschädliche Antriebe in Neuwagen 2035 will Merz verhindern: “Einen solchen harten Schnitt im Jahr 2035 wird es, wenn es nach mir geht (…), nicht geben.”

In der SPD gab es Vorbehalte gegen das Aufweichen der Regel, in der EU ab 2035 nur noch Neuwagen mit emissionsfreien Motoren zuzulassen. Vizekanzler und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil sprach sich für einen flexiblen und pragmatischen Umgang mit Hybridantrieben oder E-Fuels aus. Das sei ein Weg, “den wir für absolut gangbar halten und wo wir (…) zur Veränderung der deutschen Position kommen würden und kommen wollen”. Umweltminister Carsten Schneider (SPD) sagte, damit sei nicht der Rückwärtsgang zum Verbrenner eingelegt worden. “Wir haben heute deutlich gemacht, dass wir als Politik bereit sind, die Automobilindustrie zu unterstützen.” Im Gegenzug müsse sie sich aber zum Standort Deutschland bekennen und Arbeitsplätze sichern.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) und die IG Metall, deren Chefinnen neben Autobossen und Ministerpräsidenten an dem Treffen teilgenommen hatten, zeigten sich mit dem Ergebnis zufrieden. VDA-Chefin Hildegard Müller begrüßte den Schritt weg vom batterieelektrischen Auto als einziger Option 2035 als positives Signal. Christiane Benner, erste Vorsitzende der IG Metall, betonte die Übereinstimmung der Beteiligten, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze in der wichtigsten deutschen Branche zu schützen. Der Autogipfel habe in dieser Hinsicht Mut gemacht. Doch es müsse auch dafür gesorgt werden, dass in Europa Batteriefertigung mit neuen Jobs entstehe. “Unsere Beschäftigten sind verunsichert und brauchen da jetzt Klarheit.”

E-AUTO BLEIBT HAUPTSTRASSE

Die Lockerung wollten Politiker und Branchenvertreter nicht als Abkehr vom Weg zur Elektromobilität und Klimazielen verstanden wissen. Die Batterieelektrik werde voraussichtlich die zentrale Antriebstechnologie der nächsten Jahre, sagte Merz. “Dies ist sozusagen die Hauptstraße, die wir fahren.” Aber es gebe weitere Technologien, für die es mehr Zeit geben müsse.

In der EU wird nach mehreren Spitzentreffen der Autoindustrie mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen darüber diskutiert, ob die vor zwei Jahren verabschiedeten Vorschriften geändert werden sollen. Die Autoindustrie dringt darauf, weil der Umstieg auf E-Autos in Europa zu langsam geht. Die deutschen Autobauer und Zulieferer stecken außerdem wegen des harten Konkurrenzkampfes in China und der erhöhten US-Importzölle in der Krise. Merz sagte, er wolle das Thema auf dem nächsten EU-Gipfel Ende Oktober vorbringen. Klingbeil erklärte, die Koalition werde in Europa mit einer Stimme sprechen.

Die Bundesregierung will die Nachfrage nach Elektroautos durch steuerliche Anreize und Subventionen stärken. Die Kfz-Steuerbefreiung für E-Autos soll um zehn Jahre bis 2035 verlängert werden. Zuletzt verabredete die Koalition, drei Milliarden Euro bereitzustellen, um Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen den Kauf von E-Autos zu erleichtern. VDA-Chefin Müller äußerte sich dazu skeptisch. “Wie weit die angekündigten Kaufanreize der Automobilindustrie am Standort helfen können, ist noch unklar.” Aber sie müssten rasch eingeführt werden, damit die Verbraucher nicht lange mit Anschaffungen zögerten und der gerade wieder wachsende E-Automarkt abgewürgt werde.

Umweltaktivisten von Greenpeace demonstrierten vor dem Autogipfel dafür, am Verbrenner-Ende 2035 festzuhalten, weil das den E-Auto-Boom in Europa vorantreibe. “Jetzt am klaren Umstiegsplan von Verbrennern auf E-Autos zu rütteln, wäre fatal”, erklärte Greenpeace-Verkehrsexpertin Marion Tiemann. Dank der Regulierung würden E-Autos schnell erschwinglich, Klimaziele seien erreichbar und die deutsche Autoindustrie bleibe auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig.

(Bericht von Andreas Rinke und Ilona Wissenbach. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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