Berlin/Amsterdam/Frankfurt (Reuters) – Die Autoindustrie schlägt Alarm wegen drohender Produktionsausfälle durch Lieferprobleme des niederländischen Chip-Herstellers Nexperia.
Das Unternehmen habe Autobauer und Zulieferer am 10. Oktober darüber informiert, dass es seine Lieferungen nicht mehr garantieren kann, erklärte der europäische Autoverband ACEA am Donnerstag. Ohne die Chips von Nexperia, die in elektronischen Steuergeräten von Fahrzeugen verbaut werden, drohten Produktionsstopps. Die Bestände reichten nur noch wenige Wochen. “Wir befinden uns plötzlich in dieser alarmierenden Lage”, erklärte ACEA-Generaldirektorin Sigrid de Vries. “Wir brauchen wirklich schnelle und pragmatische Lösungen von allen beteiligten Ländern.”
Hintergrund ist der Handelsstreit zwischen den USA und China, der zu Ausfuhrbeschränkungen für Nexperia von beiden Seiten führte. Die Firma aus den Niederlanden gehört dem chinesischen Konzern Wingtech. Mit weltweit rund 11.700 Beschäftigten ist sie der führende Anbieter einfacher Halbleiter wie Dioden oder Transistoren. In Hamburg ist das größte Werk, in Deutschland hat Nexperia 2500 Mitarbeitende. Die Chips werden nach China zur Verpackung und Weiterverarbeitung geliefert. Doch das chinesische Handelsministerium verbot Anfang Oktober den Export bestimmter Bauteile mit Nexperia-Chips. Das betrifft Wingtech zufolge 80 Prozent der Endprodukte.
In den USA steht Wingtech wegen angeblicher Gefahren für die nationale Sicherheit auf einer Sanktionsliste von Unternehmen, mit denen US-Firmen keine Geschäfte machen dürfen. Am Sonntag hatte die niederländische Regierung die Kontrolle bei Nexperia übernommen und den chinesischen Firmenchef per Gerichtsbeschluss absetzen lassen. Sie begründete dies mit der Sorge vor einer Weitergabe von Technologie an die chinesische Muttergesellschaft. Wie aus Gerichtsdokumenten hervorging, drängte die US-Regierung die Niederlande zu diesem Schritt. Nexperia erklärte am Dienstag, man sei mit Ausfuhrbeschränkungen sowohl aus den USA als auch aus China konfrontiert und suche Gespräche.
BISHER KEIN PRODUKTIONSAUSFALL
Betroffen von Lieferausfällen wären neben den deutschen Autobauern BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen auch ihre großen Zulieferer wie Bosch, Aumovio oder Valeo. Die Unternehmen stellen sich auf Lieferprobleme ein. Teile des Lieferantennetzwerks seien von den aktuellen Entwicklungen bei dem niederländischen Unternehmen betroffen, erklärte ein BMW-Sprecher. Die Fertigung in den Werken des Konzerns verlaufe jedoch weiterhin planmäßig. “Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Lieferanten und bewerten die Lage fortlaufend, um potenzielle Versorgungsrisiken frühzeitig zu identifizieren und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zu ergreifen.” Mercedes-Benz erklärte, das Unternehmen beobachte die Situation und sei mit relevanten Beteiligten in Kontakt.
Volkswagen teilte mit, Nexperia sei kein direkter Lieferant. Aber Bauteile steckten in Komponenten, die VW von Zulieferern erhält. “Derzeit ist unsere Produktion unbeeinträchtigt.” VW versuche im Austausch mit den Lieferanten Risiken zu identifizieren, um darauf zu reagieren. ACEA teilte weiter mit, es gebe alternative Anbieter der Chips. Doch Zulassung und Aufbau der Produktion dürften mehrere Monate dauern.
Die Autoindustrie hatte bereits während der Corona-Pandemie Produktionsausfälle, weil Halbleiter aus Asien bei hoher Nachfrage anderer Branchen Mangelware wurden. Auch Exportbeschränkungen für seltene Erden aus China behindern die Fertigung.
(Bericht von Rachel More, Toby Sterling, Brenda Goh, Ilona Wissenbach. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)