– von Markus Wacket
Berlin (Reuters) – Angesichts der russischen Bedrohung hat sich die Koalition nach intensivem Ringen auf ein neues Wehrdienst-Gesetz zur Stärkung der Bundeswehr verständigt.
Vorgesehen ist ein Aufwuchs der Streitkräfte möglichst auf freiwilliger Basis, bei fehlenden Rekruten wird aber auch eine Pflicht greifen, wie aus dem am Donnerstag vorgestellten Konzept hervorgeht. Die besonders strittige Frage, wen eine Zwangs-Einberufung trifft und wie sie fair gestaltet wird, wurde allerdings zunächst ausgeklammert. Auch ein Losverfahren kann im Falle der sogenannten Bedarfswehrpflicht zum Zuge kommen.
Union und SPD sprachen vor dem Hintergrund des 70-jährigen Bestehens der Bundeswehr von einem guten Tag und einem Signal für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. “Wir werden die Freiwilligkeit attraktiver machen, wir möchten möglichst viele junge Menschen auch für den Dienst am Vaterland begeistern”, sagte Unions-Fraktionschef Jens Spahn. Reiche dies nicht, müsse es aber eine Pflicht geben. Sein SPD-Kollege Matthias Miersch räumte ein: “Das waren keine leichten Verhandlungen.” Er verwies auf die parallele Stärkung des zivilen Engagements: “Wir werden die Bundesfreiwilligendienste um 15.000 Stellen aufstocken, so dass wir auf über 100.000 Stellen in Deutschland kommen.” Laut Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird der Aufwuchs streng überwacht. Halbjährliche Berichte an den Bundestag sollen ein vollständiges Lagebild darüber geben, wie der Personalaufbau der Bundeswehr voranschreitet und ob die Rekrutierung auf freiwilliger Basis ausreicht.
In einem ersten Anlauf der Koalition im Oktober kam es in der SPD-Fraktion noch zum Eklat, da Teile der Fraktion und auch Pistorius selbst das Konzept einer Arbeitsgruppe aus Union und SPD abgelehnt hatten. Strittig war besonders die Frage, wie zwangsweise ausgewählt wird, wenn sich nicht genug Freiwillige für die Vergrößerung der Bundeswehr finden. Ziel ist, dass die Zahl der aktiven Soldaten bis 2035 von 183.000 auf 255.000 bis 270.000 steigt. Dazu sollen 200.000 Reservisten kommen. Derzeit könnte etwa die Hälfte mobilisiert werden.
Der veränderte Gesetzentwurf soll nun Zielkorridore für den Personalzuwachs festlegen und zudem zwischen aktiver Truppe und Freiwilligen unterscheiden. Letztere müssen mindestens sechs Monate dienen, was aber nur für den Heimatschutz und Wachaufgaben ausreicht. Sie sollen später vor allem die Reserve stärken. Die aktive Truppe ist direkt kampfbereit und muss länger ausgebildet werden.
Konkret sieht das Gesetz, das zum 1. Januar 2026 in Kraft treten soll, die Wiedereinführung der Wehrerfassung vor. Alle 18-Jährigen erhalten einen Fragebogen zu ihrer Motivation und Eignung, dessen Beantwortung für Männer verpflichtend ist. Ebenso wird die Musterung für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, wieder zur Pflicht. Um möglichst viele für einen freiwilligen Dienst zu gewinnen, sind Anreize wie eine monatliche Vergütung von rund 2600 Euro brutto und ein Zuschuss zum Führerschein vorgesehen.
Sollte die Zahl der Freiwilligen dennoch nicht ausreichen, um den Personalbedarf zu decken, kann der Bundestag per weiterem Gesetz eine Bedarfswehrpflicht beschließen. Diese würde nicht automatisch greifen. Als letztes Mittel könnte dann ein Zufallsverfahren über die Auswahl der Rekruten entscheiden. Eine Einberufung eines ganzen Jahrgangs mit etwa 300.000 Männern ist derzeit nicht möglich, da sie weder untergebracht noch ausgewählt werden können. Die Streitfrage, wie fair ausgewählt werden kann, blieb offen. Sie soll im zweiten Gesetz geregelt werden. Der Unions-Verteidigungsexperte Thomas Erndl sagte, diese Regelungen sollten zügig im nächsten Jahr kommen. Dann könnten sie im Bedarfsfall schnell umgesetzt werden. Die SPD, die eine Pflicht ohnehin kritisch sieht, äußerte sich hier zurückhaltender.
Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, nannte die Einigung einen Kompromiss, der zumindest die Attraktivität des freiwilligen Einstiegs in die Bundeswehr stärke. Zudem sichere er Transparenz mit Blick auf den Aufwuchs und schaffe die Grundlage für die Wehrerfassung und Musterung eines gesamten Jahrgangs, sagte Wüstner der “Welt”. “Ob das Setzen auf Freiwilligkeit ausreicht, wird man in den nächsten Jahren erkennen.” Ein gegebenenfalls notwendiges Umschalten auf eine sogenannte Bedarfswehrpflicht müsse als Option vorbereitet werden.
Parallel wird der zivile Bereich vor allem auf Drängen der Sozialdemokraten gestärkt: Mit zusätzlich 50 Millionen Euro im kommenden Jahr und 80 Millionen Euro ab 2027 sollen über 15.000 neue Plätze in Freiwilligendiensten geschaffen werden.
(Redigiert von Kerstin Dörr)











