Wien/Berlin (Reuters) – In Österreich ist Außenminister Alexander Schallenberg zum Übergangskanzler ernannt worden.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen betraute den 55-jährigen ÖVP-Politiker am Freitagvormittag in der Hofburg mit den Regierungsgeschäften. Er soll solange im Amt bleiben, bis eine neue Regierung ernannt wird. Wie lange dies dauern wird, ist unklar.
“Es ist eine Ehre”, sagte Schallenberg zu Journalisten in Wien. Die Übernahme der Verantwortung entspreche seinem Verständnis vom Dienst am Land in turbulenten Zeiten. Schallenberg war nach dem Rücktritt vom damaligen ÖVP-Regierungschef Sebastian Kurz bereits von Oktober bis Dezember 2021 vorübergehend Bundeskanzler. Van der Bellen sagte, Schallenberg sei das am längsten dienende Regierungsmitglied und solle deswegen jetzt die “einstweilige Bundesregierung” als Kanzler vorstehen. Gleichzeitig bleibe er Außenminister der Republik.
ZÄHE REGIERUNGSBILDUNG
Am vergangenen Samstag hatte der bisherige Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer seinen Rücktritt angekündigt. Zuvor waren Koalitionsverhandlungen zwischen der konservativen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ ebenso gescheitert wie Dreier-Gespräche mit den liberalen Neos. Van der Bellen hat deshalb jetzt den Chef der rechten FPÖ, Herbert Kickl, beauftragt, in Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP eine Regierungsbildung auszuloten. Hier gab es bereits erste Kontakte. Sollte eine FPÖ geführte Koalition mit der ÖVP gelingen, wäre Kickl der erste rechte Bundeskanzler in Österreich seit Kriegsende. Allerdings sind Neuwahlen möglich, sofern keine Verständigung gelingt. Umfragen zufolge könnte die FPÖ dann ihren Vorsprung auf ÖVP und SPÖ weiter ausbauen.
Die FPÖ gilt als EU-skeptisch und Russland-freundlich. Kritisch dürfte sein, dass die FPÖ – anders als die Konservativen – Hilfen für die Ukraine ebenso ablehnt wie Sanktionen gegen Russland. Im jüngsten Wahlprogramm der FPÖ heißt es zudem, um das Übertragen von Kompetenzen an die EU nicht noch einfacher zu machen, müsse das Einstimmigkeitsprinzip erhalten bleiben “und das Vetorecht von Österreich konsequent genutzt werden”. Bereits vollzogene Kompetenzabtretungen an die EU müssten notfalls rückgängig gemacht werden. Gemeinsamkeiten gibt es zwischen ÖVP und FPÖ bei den Themen Einwanderung und Abschiebungen. Zudem plädieren beide Parteien für eine wirtschaftsfreundliche Politik mit Steuersenkungen.
Die FPÖ hatte die Wahl im September gewonnen und mehr Stimmen geholt als die ÖVP und die SPÖ. Weil diese beiden Parteien aber ein Bündnis mit den Freiheitlichen strikt abgelehnt hatten, erhielt die FPÖ zunächst nicht den Auftrag, eine Regierung zu bilden, sondern die ÖVP.
(Bericht von Francois Murphy, Christian Krämer und Klaus Lauer.; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)